Schluss jetzt mit den Vergleichen; ab morgen sind wir alle gleich. Bezahlen alle mit demselben Geld, erleben Frankreich, Portugal und Irland als dieselbe Welt. Eine Welt ohne Währungsparitäten, in der es nicht mehr diese sonderbaren und von subtiler Symbolik aufgeladenen Rechenoperationen zwischen den Nationen gibt.Denn bitte schön: Die Zahlen haben doch ein Eigenleben, zumindest eine Eigenwirkung. Sie stehen zwar ganz sachlich auf den Devisenkurstabellen, aber sie greifen zugleich ins Gemüt der Völker ein. Es beginnt, wie jeder Urlaubsreisende weiß, am Bankschalter beim Geldwechsel. Hätte man doch einen Monat, eine Woche vorher umgetauscht! Dann wäre glatt ein zusätzliches Abendessen drin gewesen. Jetzt ist jedenfalls der Gegenwert dahin, verdunstet unter der heißen Sonne der Finanzmärkte. Unfassbar bleibt es für den Laien, mit welcher Logik und Berechtigung hier einfach ein Teil seines Geldes abgesaugt wird. Als Erwerbstätiger ist man an die strikteste Entsprechung von Arbeit und Einkommen gewöhnt, wegen dieser Entsprechung werden Gehaltsverhandlungen geführt und Streiks organisiert, doch plötzlich bricht in diesen klaren Kosmos des Verdienens die Anarchie der Wechselkurse ein. Womit habe ich das verdient?, fragt sich der Urlaubsreisende mit bangem Blick auf jene Täfelchen mit auswechselbaren Ziffern, wie sie auch an der Rezeption in größeren Hotels zu finden sind. Erst recht gilt dies für die Verwegenen, die ein anderes Land bewohnen als das, aus dem sie ihre Einkünfte beziehen. Sie sind gewissermaßen nervlich mit dem Devisenkurs synchronisiert, und mancher hat darüber sein gesundes kaufmännisches Verhältnis zum Geld überhaupt verloren. Wenn die Bezüge Roulette spielen und die Kosten Achterbahn fahren, erscheint Geld allemal als das, was es auch wirklich ist: eine Chimäre, eine Fantasie. Geld ist nämlich ein materiell wertloses Wertzeichen, das auf einer Übereinkunft beruht. An diese muss man glauben, sie ist rein geistiger Natur. Deshalb sah Hegel im Geld "das formale Prinzip der Vernunft vorhanden". In seinen Jenaer Vorlesungen zur Philosophie der Natur und des Geistes erklärte er: "Die Arbeit des Kaufmanns ist der reine Tausch, weder natürliches noch künstliches Produzieren und Formieren. Der Tausch ist die Bewegung, das Geistige, die Mitte, das vom Gebrauch und Bedürfnisse so wie von dem Arbeiten, der Unmittelbarkeit Befreite. Diese Bewegung, die reine, ist hier Gegenstand und Tun; der Gegenstand selbst ist entzweit in den besonderen, den Handelsartikel, und das Abstrakte, das Geld - eine große Erfindung. Alle Bedürfnisse sind in dies Eine zusammengefasst." So hat Geld also stets mit Bewegung und Austausch zu tun. Doch zugleich bringen Bewegung und Austausch bestimmte Risiken mit sich: zum Beispiel Währungsschwankungen, Wertschwankungen. Die europäische "Währungsschlange" und später die festen Paritäten im Vorfeld der Einführung des Euro machten dem geschilderten Wechselspuk ein Ende. Aber es blieb noch ein gefühlsmäßiger Rest übrig, ein Zahlenzauber, den jeder spürte und von dem niemand sprach. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn sieben Schilling eine Mark kosten oder dreieinhalb Franc? Trotz ihrer Abstraktheit schlagen die Multiplikations- und Divisionsregeln, die bei der Devisenumrechnung angewendet werden, stets ein wenig auf die sentimentale Seite der Beziehungen zwischen den Nationen durch. Irgendwie lag in der Tatsache, dass die Italiener ihre Lire zu absurden Summen aufzublähen pflegten, eine gewisse Kongruenz zur italienischen Mentalität schlechthin. Irgendwie leuchtete es jedem Österreicher ein, dass ein Schilling lange Zeit 140 Lire wert war. Nicht, dass ein Österreicher 140 Italiener aufwöge, nein, das zu behaupten wäre übertrieben, doch ein gewisses Gefälle an wirtschaftlicher Wertigkeit in einem sehr allgemeinen, sehr umfassenden Sinne schien sich in diesen Zahlenverhältnissen schon auszudrücken. Man wusste ungefähr, wo man in Europa steht. Man hatte zwar nicht die Umrechnungsformeln, wohl aber die Größenordnungen im Kopf. Instinktiv unterschied man nach Faktoren- und Quotienten-Ländern: Bei den einen kam nach dem Devisentausch ein kleinerer Betrag als der gegebene, bei den anderen ein größerer heraus. Und natürlich war Deutschland immer vorne dran. Für Mark-Besitzer gab es fast nur Quotienten-Länder, einzig die Briten, und dafür musste man sie wieder lieben, setzten dem Zifferngeprotze der Krauts ihr Pfund Sterling entgegen: Vor dem musste sich sogar die Deutsche Mark zerteilen lassen. Leider spielen die Briten in Euro-Europa gar nicht mit, so wie die unbeugsamen Schweizer, die von der Höhe ihres Frankens ebenfalls auf die Mark-Menschen leicht hinabblicken. Lange Zeit - vermutlich hatte das irgendetwas mit dem Bretton-Woods-Abkommen oder sonst einem Axiom der Nachkriegszeit zu tun - konnte man von Österreich aus die restlichen Währungen mit relativ einfachen Konstanten umrechnen. In den 50er- bis 60er-Jahren war 1 Dollar ungefähr 25 Schilling, 1 Pfund Sterling ungefähr 75, also das Dreifache. Zu Mark, Franken und Franc standen wir bei rund 1 zu 6, während aus 1 Schilling immerhin schon 25 Lire wurden. Eine grobe Arithmetik aus Vierteln, Vierzigsteln und Sechsteln ersetzte die damals eh noch nicht vorhandenen Taschenrechner. Mit Staunen stellte man fest, dass also 1 Pfund 75 mal 25, das heißt immerhin 1875 Lire wert war. Dann rutschte die italienische Währung zwar in die schon genannte Devisentiefe, die englische aber ebenfalls, und die Umrechnungsordnung geriet überhaupt ins Wanken: Die DM ging leicht nach oben, der Franken noch mehr, der Franc dafür kräftig nach unten. Italienreisende nahmen an einem spannenden Rennen zwischen dem immer günstigeren Kurs und den immer höheren Preisen teil; es gab Jahre, da wechselte der Ruf Italiens zwischen einem Schnäppchen- und einem unverschämt teuren Land gleich mehrmals. Schließlich konnten sich die USA als attraktives Reiseziel nicht zuletzt dank eines Dollars etablieren, der auf unter die Hälfte seines einst eisernen Wertes sank - kurzzeitig sogar auf unter öS 10,-. (Dass zudem die Ein-Schilling-Münze in New York als U-Bahn-Jeton funktionierte, war ein angenehmer Nebeneffekt, aber jetzt schweifen wir endgültig ab. Zurück nach Binnen-Europa:) Für Belgier, Deutsche, Finnen, Franzosen, Griechen, Iren, Italiener, Luxemburger, Niederländer, Österreicher, Portugiesen und Spanier heißt es jetzt: Schluss mit den Vergleichen; ab kommendem Montag sind wir alle gleich. Ist es das, was die Politiker beabsichtigten, als sie das gemeinsame Kunst-Geld schufen? Die offizielle, von allen Journalisten nachgebetete Begründung, dass Urlaubsreisende jetzt nicht mehr so viele "Sorten" (wie der Fachausdruck der Banker für fremdländisches Bargeld lautet) mit sich führen müssten, ist wohl kaum ernst zu nehmen. Deutsche Touristen auf Mallorca oder italienische in Österreich würden sich des praktischen Vorteils an Ort und Stelle bewusst werden, heißt es. Das ist sicher richtig, aber seit wann schaffen Staaten ihre Währungen ab, um es ein paar Mallorca-Urlaubern recht zu machen? Ist die ganze Europhorie bloß ein gigantischer Nebeneffekt der Freizeitgesellschaft? Der Nutzen fester Wechselkurse für die Wirtschaft liegt zwar auf der Hand, doch er lässt sich auch ohne Einheitswährung erreichen. Die zur Devisenumrechnung nötigen Computerprogramme können sich die Unternehmen vermutlich noch leisten. Also was bedeutet die Ferienlastigkeit der ganzen Argumentation? Euro for fun? Aufhebung eines der fundamentalen staatlichen Souveränitätszeichen (denn das ist das Geld) zugunsten eines kontinentweiten Café-Preisvergleichs durch Männer in Shorts? Nein, das kann nicht das Ziel der Anstrengung sein. Es geht vielmehr um eine Bewusstseinsveränderung viel tieferer Art. Noch nie hat es eine Währung unabhängig von der Nation gegeben. Die Auflösung der Nationen hat begonnen. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe, 29./30. 12. 2001)