Das 43. Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker unter Seiji Ozawa brachte kein unverbindliches Abspulen des Walzerrepertoires. Der japanische Dirigent animierte das Orchester zu federleichtem Spiel mit dem Dreivierteltakt und wurde mit Bravos überhäuft.


Wien - Der Einzige, den man nicht bedauern müsste, im Jahr nach dem Abgründe suchenden Nikolaus Harnoncourt das Neujahrskonzert dirigieren zu dürfen - so dachte man nach dem Konzert des ersten Tages 2001 - wäre der liebe Schani Strauß selbst. Nun ist man allerdings um das Neujahrskonzert 2002 weiser und sieht keinen Grund, Maestro Seiji Ozawa aus irgendeinem Grund zu bedauern. Zweifellos muss sich natürlich auch Harnoncourt nicht fürchten, bei einem Vergleich unterzugehen, wenn er 2003 mit seinem persönlichen Dacapo Maestro Ozawa als Walzerdirigent nachfolgt.

Allein was Ozawa am ersten Eurotag zuwege brachte, war schon weitaus mehr als die Rückkehr zu einer unverbindlichen Normalität, die man in manchem Neujahrskonzertjahr bemerken musste. Ozawa will nicht um jeden Preis anders sein, aber zweifellos will er etwas sein. Sein Kunstwollen kreist um Motivation, Leichtigkeit und Energie. Er weiß, dass der Jackpot der Qualität schon fast geknackt ist, wenn er seine philharmonischen Freunde in einen Zustand der sehr guten Laune versetzt, die dann in jedem Ton das Gefühl vermittelt, alle Intensität und Sensibilität seien zugegen.

Phrasen streicheln

Da er sich offenbar seiner weltweiten televisionären Situation bewusst ist, führt das zunächst zu einer sehr deutlichen, rundum tänzerischen Dirigierperformance. Beim Zivio!-Marsch streichelt er die Phrasen regelreich und komplimentiert sie und fegt sie an ihrem "Auftrittsende" raus. Und nicht selten glaubt man, im nächsten Augenblick würde der federleicht agierende Maestro einer Libelle gleich durch den Musikverein fliegen und seine Anweisungen aus der Luft erteilen. Der mit den "Philis" tanzt. Gottlob gibt es die Schwerkraft.

Folgenlose Effekthascherei ist das allerdings nicht. Zweifellos findet der Energietransfer von Gestik auf Interpretation statt - viel kompakter in Klang, Phrasierung und Dynamik kann man sich die Philharmoniker kaum vorstellen (nur am Ende der so flotten wie lyrischen Fledermaus-Ouvertüre klang es ein bisschen grob). Ozawas Beitrag: Da hört man etwa beim Walzer Carnevalis-Botschafter seine Befähigung zum dramaturgischen Spagat zwischen zierlich und auftrumpfend. Gewinnbringend auch sein Ansatz bei Josef Hellmesbergers d. J. energisch drängendem Danse diabolique.

Die Walzerzeit

Vielleicht ist Ozawa für das Innehalten und das Aufstauen der Walzerenergie etwas zu quirlig, für das kurze Anhalten der Walzerzeit etwas zu verschmitzt. Aber zweifellos trifft er den Tonfall der Musik und atmet mit ihr verständnisvoll mit: Der Aquarellen-Walzer (Joseph Strauß) mit seiner orchesterkonzerthaften Anlage pendelt elegant zwischen Schwere und Leichtigkeit. Ozawas Poesie ist diesseitig, sie hat nichts Ambivalentes wie bei Harnoncourt. Aber sie ist Poesie.

Natürlich passt auch der Entertainmentcharakter dieser Veranstaltung zum Meister der Herzlichkeit. Bei der Schwätzerin-Polka suchte er vergebens, eine Oboe zum Schweigen zu bringen; bei der Beliebte Annen-Polka mischt er sich unter die Musiker und dirigiert. Später, als Kinder im Goldenen Saal an die Zuhörer Blumen verteilen, lässt sich Ozawa mit der ihm überreichten gerne und ausgiebig fotografieren.

Und den Neujahrsgruß, diesmal von einzelnen Philharmonikern in mehreren Sprachen vorgenommen (irgendwie auch ein sympathisches Bekenntnis zu jener Internationalität, die im Orchester längst Einzug gehalten hat), moderiert er heiter und lässt den Konzertmeister auf Japanisch Neujahrswünsche überbringen, um ihm dann zu zeigen, wie man das wirklich sagt und betont.

Eine beschwingte, runde Sache war das. Es wird das Konzert also sicher nicht nur deshalb in Erinnerung bleiben, weil es das erste der Euro-epoche war und weil Ozawa der erste Dirigent ist, der seine Gage in Euro empfängt. Ab 7. Jänner wird man es nachhören können. Universal will einen Veröffentlichungstemporekord aufstellen.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. 1. 2002)