James Walsh und Starsailor aus Großbritannien variieren auf ihrem Debüt "Love is here" existenzielles Leid im durchaus jugendlich altklugen Sinn.Wenn es denn tatsächlich wahr ist, dass sich das Potential an existenziellem Leid umgekehrt proportional zur Lebenserfahrung und den mitunter dazugehörigen Lebensjahren verhält, dann muss James Walsh mit seinen Anfang 20 schon jetzt zu den größten Schmerzensmännern der Popgeschichte gezählt werden. Immerhin ist der Mann auf dem Debüt "Love is here'" schon nach den ersten drei von Melancholie und Schwerstmut durchzogenen halbakustisch arrangierten Songs so vom Leben und seiner Unfähigkeit an den misslichen Umständen etwas zu ändern fertig, dass er sich dann im nicht weniger zu Tode betrübten "Lullaby" selbstbeschwörend mit greinender Kopfstimme immer wieder versichern muss: "Get on your feet again!" Schuld am Leid, auch das ein Charakteristikum der kreativen Jugend schon seit den Leiden des jungen W., sind gewöhnlich ausschließlich "you" und "she" und "they". Und wenn nicht das, so zumindest die eigene, das ganze Restleben determinierende Herkunft: "Don't you know you've got your daddy's eyes, your daddy was an alcoholic ..." Diese trotz allen Protestes ebenso fatalistische wie kindlich-egozentrische Weltsicht des "Ich, ich, ich" führte angesichts einer kaum durch die erst mit dem Alter kommende Kulturtechnik der Relativierung gebrochene Distanzlosigkeit von Starsailor zu ihrem Thema zu einer längeren Hörhemmung beim Rezensenten. Immerhin ist das eher über deren Abwesenheit betitelte Album "Love Is Here" schon im September erschienen. Wenn man aber davon ausgeht, dass Popmusik bis zu einem gewissen Grad aus gutem Grund - siehe Wiedererkennbarkeit, siehe Ohrwurm, siehe Erweckung von Instant-Gefühlen - standardisiert ist und eine ungewöhnlich selbstreferenzielle Kraft besitzt, dann entwickelt dieses oft bis hin zur Weinerlichkeit pathetische Monstrum von Album eine eigene Sogwirkung. Selbstreferenziell bedeutet in diesem Fall: Wir hören auf "Love is here" definitiv nichts Neues. Weil aber aus jedem Einzelbestandteil des Albums, seien es die alles andere als im Wortsinn "originellen" Melodien oder die normierten Textbausteine, sofort die restlichen zu einem Schmerzenssong gehörenden Elemente reproduziert werden können, beinhalten die Lieder von Starsailor bei entsprechender musikalischer Vorbildung (Jeff und Tim Buckley, Travis, Tindersticks, N. Cave und L. Cohen ...) eine ideale Plattform für therapeutische Selbsterforschung. Laut E. L. Doctorow, der dazu in seinem ebenfalls heuer erschienenen Roman City of God entsprechend plausible Betrachtungen anstellt, sind Songs, wenn schon nicht wissenschaftliche Gleichungen, so zumindest ausgleichende Erscheinungen: "Wenn ein Sänger fragt: warum hast du mir das angetan, warum hast du mir das Herz gebrochen ... dann ist darin die Formel enthalten, dass das Maß an Verrat der Beredtheit des Schmerzensschreis entspricht. Gefühle verwandeln sich so rasch und unvorhersehbar wie subatomare Phänomene, und wenn sich eine kritische Masse gebildet hat, bricht ein Song hervor; doch die Gesamtmenge an reiner Energie bleibt konstant. Und wenn ein Song gut ist, wenn er ein Standard ist, dann erkennen wir darin den Ausdruck einer Wahrheit. Wie eine Formel kann er sich auf jedermann beziehen, nicht nur auf den Sänger." Besser kann man es in diesem Fall gar nicht sagen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4. 1. 2002)