Authmuqam - Aus den Überresten des Hospitals von Authmuqam ragen noch Reste von Granatgeschoßen hervor. Vor Schutt und verdrehten Eisenstücken weist Doktor Mohammed Farooq auf den schneebedeckten Gipfel, der sein Dorf überragt. "Drei Jahre lang haben die Inder auf dem Berg mein Krankenhaus trotz des Rotkreuz-Zeichens auf dem Dach beschossen und am 15. November endgültig zerstört", sagt der Arzt. "Es war das größte Krankenhaus der Gegend und nun schaut euch das an."

Wütend weist er auf das eingestürzte Dach und die klaffenden Löcher in der Wand.

Authmuqam hat das Pech, an die Kontrolllinie in der von Indien und Pakistan gleichermaßen beanspruchten Kaschmirregion zu grenzen. Das auf der pakistanischen Seite liegende Dorf bietet ein Bild der Zerstörung. Kaum ein Haus ist intakt, die weiß getünchten Mauern sind von Schrappnellgeschoßen gezeichnet. Dazwischen stehen vom Feuer verkohlte Fichten ohne Zweige. Offiziellen pakistanischen Angaben zufolge sind im Dorf seit 1998 102 Menschen durch Artilleriebeschuss getötet und 486 verletzt worden. Bisher sind dennoch nur wenige der 5000 Einwohner aus der Kampfzone geflüchtet.


Eine Frage der Moral

"Es ist fürchterlich, wir wissen nie, wann das Feuer beginnt", sagt Adbul Latif, ein 42 Jahre alter Tischler. Manchmal müssten er und seine Kinder bis zu 24 Stunden im Bunker bleiben. Seinem Dorf wolle er aber niemals den Rücken kehren. "Das hier ist unser Heimatland, und niemand will sein Heimatland verlassen." Der 60-jährige Abdur Raheem stimmt zu: "Wir haben keinen anderen Platz, wohin wir gehen könnten." Und sobald einer gehe, schwäche das die Moral der anderen im Dorf.

Lal Hussain humpelt einen steilen Hügelpfad entlang. Er stoppt und lehnt sich auf seinen Gehstock, um Luft zu holen. Lal ist 28 Jahre alt, doch sieht er mindestens zehn Jahre älter aus. "Vor zwei Jahren wurde ich von einer Mörsergranate umgelegt, als ich zu einem Bunker rannte", sagt er und nimmt seinen Schuh ab. Die Überreste seinen linken Fußes kommen zum Vorschein.


Nerven liegen blank

Auf beiden Seiten der Kontrollzone kann jeder Geschichten von Freunden und Familienmitgliedern erzählen, die bei Artilleriebeschüssen aus indischen und pakistanischen Stellungen verstümmelt oder getötet wurden. Seit dem 13. Dezember liegen die Nerven in Authmuqam blank. Nach dem Selbstmordattentat kaschmirischer Rebellen auf das indische Parlament im vergangenen Dezember und dem Truppenaufmarsch auf beiden Seiten der Kontrolllinie fürchteten viele im Dorf einen Großangriff. Doch seit jenem Artilleriebeschuss vom 15. November, bei dem das Krankenhaus des Doktor Farooq in Schutt und Asche gelegt worden war, ist noch nichts geschehen.

Die schrecklichen Erinnerungen aber bleiben: "In einer Nacht im vergangenen Jahr war ich mit fünf Leuten unterwegs, die alle verwundet wurden, als eine Granate neben uns aufschlug. Einem Buben riss es die Beine weg", sagt der weißbärtige Abdur Raheem. Und fügt trotzig hinzu: "Es war grässlich, aber wir dürfen und werden nicht aufgeben und das Dorf verlassen." (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 5.1.2002)