Wien - Gesetzt den Fall, Sie lieben einen Autor, den Marcel Reich-Ranicki "übrigens nicht sehr schätzt", also Robert Musil. Gesetzt den Fall, Sie lieben noch jemand anderen, den Sie an dieser Liebe teilhaben lassen wollen. Gesetzt den Fall, Sie beschließen in einem Anfall von Weihnachtsrestgeld, diesem anderen die neunbändige Rowohlt-Paperback-Werkausgabe auf den Jänner-Diwan zu legen. Genau dann werden Sie erfahren, dass das Leben launisch und diese Ausgabe seit Jahren vergriffen ist. Und im kleinen Antiquariat um die Ecke auch schon längstens fehlt. Wie aber, wenn Sie ALLE, nun ja, fast ALLE Antiquariate des deutschsprachigen Raums gleichzeitig befragen könnten? Dann hätten Sie in fünf Sekunden drei Angebote zu 35 EURO, zu 80 EURO und zu 180 EURO vor sich - am Bildschirm. Seit Jahren reagierten nämlich die Antiquariate auf die missliche Leser-Situation.
Internetplattformen wie das
zvab.de
entstanden, das Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher, oder
just-books.de
, in welchen ein Großteil der deutschsprachigen Antiquariate die Ware zum Verkauf feilbietet. Meist unter Angabe der Telefonnummer, sodass in Sekundenschnelle detaillierte Informationen über die einzelnen Titel erfragt werden können.
Mehr als die Hälfte der deutschsprachigen Antiquariate sind mittlerweile in den Internetplattformen vertreten und über zehn Prozent der 500 Millionen Euro Umsatz aus antiquarischen Büchern werden im Internetverkauf erbracht.
Die heißeste Adresse für Antiquariatsspechte hat derzeit Wiener Ursprünge: Hier entwickelte Wolfgang Franek in den vergangenen Jahren aus der persönlichen Homepage des Internet-Antiquariats SFB (Suche & Finde Bücher) unter
www.sfb.at
die derzeit umfassendste Meta-Plattform des vernetzten Antiquariatsbüchermarkts. Will heißen: Wer sich unter dem zwinkernden Blick der
sfb
-Eule auf Buchsuche begibt, befragt innerhalb von Sekunden zwölf der größten Buch-Plattformen mit einem Gesamtbestand von ungefähr sechzig Millionen Büchern.
US-Literatur
Neben den Klassikern zvab.de (fünf Millionen Bücher) und just-books.de (4,5 Mio.) werden kleinere Plattformen wie antbo.de oder zeusman.de ebenso abgefragt wie Neubuchanbieter, etwa amazon.com oder bol.de.
Vor allem Liebhaber amerikanischer Literatur kommt Franeks Lust am Link doppelt zugute: Auch
abebooks.com
wird befragt, das amerikanische Antiquariate mit einem Gesamtbestand von ungefähr 30 Millionen Büchern versammelt. Oder Liebhaber niederländischer Literatur:
antiqbook.nl
vertritt 420 niederländische Händler.
justbooks.fr
und
justbooks.co.uk
durchforsten französische, beziehungsweise britische Buchbestände.
"Vergriffen" jedenfalls ist ein Wort, das künftig ein Gutteil seiner Terrorkraft einbüßt. Kein Grund allerdings, die Musil-Paperback-Ausgabe nicht dennoch neu zu edieren.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 1. 2002)