Der Euro wird in seinen Auswirkungen noch immer sträflich unterschätzt. Das bewies Finanzminister Karl-Heinz Grasser mit seiner Aussage, die neue Währung und Steuerharmonisierungen in der EU hätten nichts miteinander zu tun. Sie haben: Die letzten psychologischen Hürden für Preisvergleiche sind gefallen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Österreicher etwa fragen, warum sie für Computer, Autos, Lebensmittel, Bücher und vieles andere deutlich mehr zahlen müssen als die deutschen Nachbarn. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Linzer oder Welser es nicht mehr hinnehmen, für einen tragbaren Computer fast hundert Euro mehr hinzublättern als die Nachbarn jenseits der Grenze - und das nur für den Finanzminister. Was dann kommt, ist einerseits ein blühender Einkaufstourismus, andererseits aber auch die Frage, welche Gegenleistung die Österreicher für ihre höheren Steuern eigentlich bekommen. Höchste Zeit für diese Frage: Während in anderen Lebensbereichen genaue Preisvergleiche angestellt und Stromanbieter, Autowerkstätten, Lebensmittelgeschäfte, Handybetreiber und Reisebüros wegen verhältnismäßig geringer Einsparungen gewechselt werden, wird die Leistung des Staates kaum hinterfragt: Was bekomme ich für die 30, 40, 50 Prozent meines Gehaltes, die ich nie zu sehen bekomme, eigentlich? Warum schafft es der deutsche Staat, fast 100 Euro weniger beim Laptopkauf abzuknöpfen, ohne seine Aufgaben zu vernachlässigen? Wettbewerb ist gut, lautet eine der zentralen Thesen der EU. Ausnahme: In Steuerbereichen mögen ihn die Finanzminister gar nicht. Sogar von "schädlichem Wettbewerb" ist da etwas undifferenziert die Rede. Natürlich ist es nicht gut, wenn etwa Irland EU-Subventionen zu Steuersenkungen benutzt, um damit Unternehmen anzulocken. Aber wieso ist ein Wettbewerb der Staaten schädlich, wenn es um schlanke und effiziente Verwaltungsstrukturen geht? Wenn Österreich 20 Prozent Mehrwertsteuer (oder, über alles gerechnet, eine Abgabenquote von über 45 Prozent) benötigt und Deutschland mit 16 Prozent Mehrwertsteuer auskommt, kann das auch heißen, dass der deutsche Staat besser mit den Steuergeldern umgeht und damit mehr Kunden und Unternehmen ins Land holt - die Linzer fahren nach Passau einkaufen. Österreich hingegen erleidet einen Kaufkraftabfluss und damit verbunden Steuerausfälle. Der einzige Ausweg ist: auch in Österreich die Staatsverwaltung so zu modernisieren, dass sie mit international herzeigbaren Steuersätzen auskommt. Das gilt übrigens nicht nur für Österreich: Es gibt etwa in Skandinavien noch durchaus höhere Steuersätze. Dennoch wird sich die Qualität eines Wirtschaftsstandortes verstärkt auch über seine Steuern und die Verwaltung definieren: Der Wohlstand steigt, je mehr disponibles Einkommen bleibt und in die Wirtschaft zurückfließt. Wenn es sich Österreich endlich nicht mehr leisten kann, mit unnötigen und lächerlichen Gewerbeordnungen, Gesetzen und Paragraphendschungeln die Wirtschaft zu bremsen und Unternehmensgründungen möglichst zu erschweren, wird der Wirtschaftsstandort davon doppelt profitieren - durch neue Unternehmen und niedrigere Steuern. Eine Regierung allein - egal welcher Farbmischungen - wird Österreich diesen dringend benötigten Modernisierungsschub nicht verabreichen können. Zu mächtig sind da noch die alten Blöcke in Parteien und Sozialpartnern, die ihre vermeintlichen Interessen vertreten. Durch den Euro wird das alles nun in wenigen Jahren hinweggefegt werden - er macht Zusammenhänge transparent, die sonst kaum aufscheinen würden. Der Beitritt Österreichs zur Währungsunion bringt viele Vorteile. Die größten werden erst in einigen Jahren sichtbar werden. (DER STANDARD, Printausgabe 7.1.2001)