Nach dem Rücktritt von Außenminister Renato Ruggiero war für die italienischen Medien eine Frage von ganz besonderem Interesse: Was sagt Gianni Agnelli?

Bei Ruggieros Kür vor sechs Monaten hat der Fiat-Ehrenpräsident kräftig nachgeholfen. Das hat durchaus Tradition: Der 80-jährige Agnelli ist Senator auf Lebenszeit, seine Schwester Susanna war mehrmals Außenministerin, sein Bruder Umberto ebenfalls Senator. Keiner verkörpert die Verquickung von politischer und wirtschaftlicher Macht so schillernd wie der Konzernchef aus Turin.

Dabei engagierte sich Agnelli nie wirklich direkt in der Politik. Seit seiner Ernennung zum Senator kommt er nur zu wichtigen Anlässen in das Hohe Haus. Beim Vertrauensvotum im Juni stimmte er überraschend für Berlusconi. Vorher hatte er für diesen nie Sympathie gezeigt - und das dürfte seit Ruggieros Rücktritt wieder so sein.

Von 1966 bis 1996 leitete Agnelli die Geschicke des mächtigen Industrieimperiums der Fiat und sorgte gleichzeitig für Brot und Spiele: Als Präsident des Fußballklubs Juventus kaufte er Zidane und Del Piero ein, als Ferrari-Boss holte er Michael Schumacher nach Italien. Die Vergabe der Olympischen Winterspiele 2006 an Turin wäre undenkbar ohne den Einfluss der Familie Agnelli, die schon 1930 aus dem Hauptaustragungsplatz Sestriere einen mondänen Wintersportort gemacht hat.

Erfolg, Macht und Glanz waren in Agnellis Leben stets mit Tragik gepaart: Im Alter von 14 Jahren verlor er seinen Vater bei einem Flugunglück, 1945 starb seine lebenslustige Mutter Virginia von Bourbon bei einem Verkehrsunfall. 1952 veränderte ein eigener schwerer Unfall sein Leben: Nach durchfeierter Nacht raste der leidenschaftliche Autofahrer Agnelli mit seinem Ferrari bei Montecarlo gegen einen Lkw. Lebensgefährlich verletzt wurde er aus dem Wrack geborgen, sein rechtes Bein blieb für immer steif.

Er heiratete die Adelige Marialle Caracciolo. Dass sich Tochter Margherita später mehr um ihre acht Kinder kümmerte als um Fiat, akzeptierte der Firmenchef. Dass Sohn Edoardo fernöstlichen Philosophen eher zugeneigt war als dem Konzern, bekümmerte ihn aber. Sein Traum, das Unternehmen wieder einem Agnelli-Spross anzuvertrauen, scheiterte: Sein Neffe und designierter Fiat-Chef Giovanni Alberto starb 1997 mit 33 an Krebs, Edoardo beging, 46-jährig, vor einem Jahr Selbstmord.

Kaum eine Familiensaga eignet sich also besser zur Mythenbildung: Die Abschottung des Privatlebens fördert Legenden, die Mischung Adel, Geld und Glamour beflügelt die Fantasie, die Schicksalsschläge wecken Anteilnahme. Und Gianni Agnellis Unerschütterlichkeit nötigt den Italienern Respekt ab. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 8.1.2002)