Klagenfurt - Gebärdensprache ist nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch Ausdruck einer eigenen Teilkultur. "Ich müsste schon nach Bolivien oder Nepal fliegen, um anderswo eine so exotische Sprache kennen zu lernen", schwärmt Franz Dotter, Sprachwissenschafter und Leiter des Forschungszentrums für Gebärdensprache in Klagenfurt.Auch wenn diese im optischen Kanal produziert wird und somit eine Sonderstellung einnimmt - viele Methoden der wissenschaftlichen Arbeit sind doch dieselben wie bei allen anderen Sprachen: Die Gebärden von "native speakers", in diesem Fall also von Gehörlosen, werden aufgezeichnet, transkribiert und analysiert. Mimik als Grammatik Manche Annahmen aus der Sprachtheorie müssen jedoch revidiert werden. Zum Beispiel können wir in der gesprochenen Sprache alles nur nacheinander aussprechen, während in der Gebärdensprache manche Bedeutungen simultan ausgedrückt werden. Adverbien wie "intensiv" oder "vermutlich" zeigen sich im Gesichtsausdruck, während die Hände andere Zeichen produzieren. So wird die Mimik zu einem Teil der Grammatik. Es ist aber nicht allein das wissenschaftliche Interesse, das Franz Dotter und sein Team (fünf der insgesamt acht Mitarbeiter des Zentrums sind selbst gehörlos) motiviert: "Wenn man Material aus einer unbekannten Sprache nimmt, ist man verpflichtet, den Betroffenen etwas zurückzugeben. Das gebietet die sprachwissenschaftliche Ethik." So wird am Forschungszentrum für Gebärdensprache ein Schwerpunkt auf praxisbezogene Arbeit gelegt, um zur Verbesserung der unbefriedigenden Lage der Gehörlosen (in Österreich sind es etwa 9000) und schwer Hörgeschädigten beizutragen. Für das "Lexikon der Österreichischen Gebärdensprache" wurden mehrere Tausend Einzelzeichen auf Video aufgenommen. In Kooperation mit dem Institut für Translationswissenschaft und der Fachhochschule Joanneum in Graz wird es nun ins Internet gebracht. Dolmetsch-Studenten und andere Interessierte sollen sich in Zukunft aus den Videosequenzen ihr individuelles Lernangebot zusammenstellen können. Dem erweiterten Wissenschaftsverständnis der Klagenfurter Sprachforscher entspringt auch ihr gesellschaftspolitisches Engagement: Mit großer Vehemenz setzen sie sich für die bundesweite Anerkennung der Gebärdensprache als Minderheitensprache ein. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 1. 2002)