Geschlechterpolitik
Frauen-Power in Nepal
Eine Reportage von Brigitte Voykowitsch über WHEEL, ein Projekt, das Hilfe zur Selbsthilfe leistet
Da reden wir alle über Gleichstellung, aber in ihrem tiefsten Innersten bevorzugt jede von uns noch immer einen Sohn", sagt Umadevi, selbst Mutter dreier Buben, und erklärt: "Wenn eine zwei Knaben hat, wird sie nicht absichtlich noch einmal schwanger werden, um ein Mädchen zu bekommen. Aber wer zwei Mädchen hat, wird weitere Kinder haben wollen, solange bis endlich der ersehnte Sohn kommt." Einspruch. Aus der Frauengruppe, die sich an diesem Abend im südnepalesischen Bindhabasini versammelt hat, meldet sich Lalitadevi zu Wort: Nachdem sie drei Knaben geboren hatte, wünschte sich noch ein Mädchen. Und sie hatte Glück. Ihr viertes Kind ist ein Mädchen. Lalitadevi gibt allerdings zu, dass sie eher eine Ausnahme darstellt in einem Land, wo weibliche Kinder von Geburt an weniger zählen und Frauen in allen Lebensbereichen, angefangen von der Ernährung über den Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Bildung, starken Diskriminierungen ausgesetzt sind.Bis vor kurzem war der Begriff Gleichstellung noch unbekannt
Doch etwas ist in Bewegung geraten in Bindhabasini mit seinen knapp über 4000 Einwohnern, von denen 97 Prozent Hindus und die restlichen drei Prozent Muslime sind. Noch vor zwei Jahren war der Begriff Gleichstellung nicht Teil des gängigen Vokabulars, kaum eine Frau stellte die vorherrschenden Gesellschaftsregeln in Frage oder wagte es gar, Forderungen zu erheben. Unwidersprochen konnten die Männer bestimmen, wann und zu welchem Zweck eine Frau das Haus verlassen durfte. So ungeschrieben wie unangefochten galt das Gesetz, dass Männer bei Gesundheitsproblemen einen Arzt oder ein Spital aufsuchen, Frauen hingegen bei Nachbarinnen oder weiblichen Verwandten und Bekannten Rat suchen würden.
Keines dieser Themen aber ist mehr tabu, wenn sich heute Samstag für Samstag um ein Uhr Nachmittag die Mitglieder der Frauengruppe treffen. 26 sind es insgesamt, das mag wenig erscheinen, doch zum einen wurde die Gruppe erst vor kurzem gebildet, zum anderen vertreten einige Frauen wiederum andere Organisationen, einen Sparverein oder ein Team, das sich mit Fragen der Gesundheit oder der Landwirtschaft beschäftigt, in der 84,5 Prozent der DorfbewohnerInnen tätig sind.
Geldverteilen ist nicht gleich Entwicklung
Den Anstoß zu diesen diversen Aktivitäten haben zwei MitarbeiterInnen, eine Frau und ein Mann, von Didibahini, einer in der Hauptstadt Kathmandu ansässigen nepalesischen Nichtregierungsorganisation (NGO) gegeben. Vor eineinhalb Jahren haben sie, die selbst aus der südnepalesischen Region des Terai gebürtig sind, in Bindhabasini ihre Arbeit aufgenommen. Anders als bei so vielen anderen Projekten sind sie freilich nicht mit konkreten Plänen für eine kleine Klinik oder ein Mikrokeditprogramm, eine Mädchenschule oder eine wie immer geartete Frauenorganisation gekommen. Ein derartiger Ansatz würde den Prinzipien von Didibahini, was so viel wie "ältere Schwester, jüngere Schwester" bedeutet, zuwiderlaufen. "Zu lange", erklärt Bharat Pokharel, ein Berater von Didibahini, seien "physische Ressourcen und Kapital im Zentrum der Entwicklungsphilosophie" gestanden. "Geldverteilen wurde mit Entwicklung gleich gesetzt", zieht Pokharel kritisch Bilanz. Viel zu wenig sei dabei "auf das Humankapital, auf menschliche Ressourcen und Verhaltensmuster" geachtet worden. "Der gesamte Entwicklungsprozess hat die Menschen damit von Außenstehenden abhängig gemacht anstatt ihnen dazu zu verhelfen, ihre eigenen Kräfte und Ressoucen zu mobilisieren, kurz, das zu tun, was seit einigen Jahren mit dem Begriff 'Empowerment' bezeichnet wird." Genau das aber will Didibahini erreichen.
Hilfe zur Selbsthilfe
Auch für diese Hilfe zur Selbsthilfe braucht es selbstverständlich finanzielle Mittel, und die kommen derzeit noch aus den Geldern der österreichischen Bundesregierung für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Rund 110.000 US-Dollar hat Wien laut einem Abkommen vom Februar 1999 dem UN-Bevölkerungsfond (UNFPA) für das sogenannte WHEEL-Projekt (Women in Health, Education, Environment and Local Resources) zur Verfügung gestellt, das mit Unterstützung des UNFPA von Didibahini ausgeführt wird. Die Mittel dienten zunächst der im Januar 2000 initiierten Projektplanung und im Mai des selben Jahres lancierten konkreten Arbeit und werden seither vor allem für die Kosten für das Personal in Kathmandu und an den insgesamt drei Projektorten in Nepal aufgewendet.
Was will WHEEL?
Die Absicht von WHEEL besteht darin, "die Autonomie von Frauen zu steigern, Verbesserungen in ihrem Leben zu bewirken, ihr Selbstvertrauen sowie ihre Eigenständigkeit und Entscheidungsfähigkeit zu stärken und damit zum nationalen Ziel der Armutsverringerung beizutragen." Frauen sollen als gleichwertige und gleichberechtigte Partnerinnen gemeinsam mit ihren Männern in allen ihre Gemeinden betreffenden Fragen zusammenarbeiten, ob es sich nun um geschlechterspezifische Themen, soziale und ökonomische Entwicklung oder um Aspekte der Gemeindeverwaltung handelt.
Welche Fragen an den einzelnen Projektorten anstehen, wo Verbesserungen vonnöten sind und wie sie zu erreichen wären, was Autonomie bedeuten und wie sie konkret aussehen könnte, das zu definieren liegt dabei an der lokalen Bevölkerung. Die MitarbeiterInnen von Didibahini, von denen jeweils zwei pro Ort die gesamte Projektzeit über mit den Einheimischen leben sollen, verstehen sich lediglich als Katalysatoren. Es ist ein Ansatz, der vielfältige Schwierigkeiten mit sich bringt. Zunächst gestaltete sich schon die Suchen nach qualifizierten Kräften schwierig. Denn nicht viele erklären sich dazu bereit, in einem der ärmsten Länder der Welt auf die Annehmlichkeiten der Hauptstadt zu verzichten und in einem Dorf ohne moderne Komunikationsmittel, ohne Zeitungen, ja selbst ohne sichere Versorgung mit sauberem Trinkwasser zu leben, dazu noch den Dialekt der Einheimischen zu erlernen und das Risiko einzugehen, nach Ende des Projektes wieder ohne Arbeit dazustehen.
Viel Energie ist notwendig
Nicht minder aufreibend war es für die endlich gefundenen MitarbeiterInnen, das Vertrauen der DorfbewohnerInnen zu erlangen. Denn sie kamen im Einklang mit den Prinzipien von Didibahini ja ohne Geld zu vergeben, dafür mit umso mehr Worten. Von Tür zu Tür zu gehen, die Ideen von WHEEL vorzustellen und die Menschen dazu zu bewegen, eine Dorfversammlung einzuberufen, zu der auch die Frauen kommen würden, das bedurfte großer Energie. Je nach Ort konnten mehrere Monate vergehen, bis sich erste Gruppen einfanden, mit denen die Didibahini-VertreterInnen dann erste Diskussionen und nach und nach auch Bestandsaufnahmen begannen.
Was läuft im Ort, welche Probleme gibt es, wo bestehen Mangel und Not und was sind die Ursachen dafür, wer besucht wielange die Schule, und was sind die Gründe für Fernbleiben oder frühzeitiges Ausscheiden, auf solche und viele andere Fragen sollten die Einheimischen unter der Leitung der Didibahini-MitarbeiterInnen selbst Antworten finden. Dann ging es darum, über mögliche Veränderungen nachzudenken und Prioritätenlisten zu erstellen. Überall ergab sich hier eine markante Diskrepanz zwischen den Anliegen der Männer und jenen der Frauen, für die Bildung für Mädchen wie auch Erwachsene stets ganz oben kommt und die Schaffung von Eigenmitteln ebenfalls einen sehr hohen Stellenwert hat. Erst in einem weiteren Schritt sollen dann konkrete Projekte formuliert werden, also die Einrichtung von Frauengruppen, von Sparvereinen, Alphabetisierungskursen und Genossenschaften oder die Sicherung von sauberem Trinkwasser und die Schaffung von Forst- und Landwirtschaftsprojekten. Für all diese Pläne sind zunächst die eigenen Ressourcen und Kräften innerhalb der Gemeinde aufzuwenden, wo diese nicht ausreichen, ist Lobbying bei den zuständigen Behörden angesagt, die nur allzuoft ihren auf Papier festgehaltenen Verpflichtungen nicht nachkommen.
"Wir wollen nicht mehr aufhören mitzureden"
"Nie hätte ich mir gedacht, dass ich als Analphabetin eine Frauengruppe bilden oder gar vor einer sprechen könnte, ganz zu schweigen davon, dass ich früher nie vor einer Runde mit Männern das Wort ergriffen hätte", beschreibt eine Frau namens Bartoli eine für sie essentielle Veränderung seit der Ankunft von Didibahini in Dadhikot, dem zweiten Projektort der NGO unweit von Kathmandu. "In der Zeit vor Didibahini nahm kaum eine Frau an einer öffentlichen Versammlung teil", erklärt ein Einheimischer, heute schicken viele Männer ihre Frauen ganz bewusst hin. Da haben sie einfach umgedacht." Die Frauen dürfen heute mitreden, und sie tun es. "Manchmal würden wir am liebsten gar nicht mehr aufhören", gesteht Bartoli lachend. Dabei war es anfänglich so schwierig, überhaupt zu verstehen, was Kalpana, die Didibahini-Vertreterin, bei den Treffen überhaupt von ihnen wollt! e. "Was gibt es denn dort? Eine Tasse Tee? Das war eine häufig gestellte Frage", erläutert Savitri, "und viele fanden hunderte Ausreden, warum sie nicht kommen konnten."
Tabus werden gebrochen
Manche Treffen hatten auch völlig unbeabsichtigte positive Auswirkungen. So war der einzig verfügbare größere öffentliche Raum in einem Ort das Tempelgelände, wo Didibahini eine Veranstaltung für Frauen organisierte. Erst im nachhinein erfuhr die NGO, dass bis dahin nur Angehörige der oberen Kasten dieses Gelände hatten betreten dürfen, "aber wir hatten Frauen aus allen Kasten hierher gebracht. Seither ist es allen gestattet, hierher zu kommen", erklärt eine Vertreterin der NGO. An einem anderen Ort scheiterte dagegen die Teilnahme von Unberührbaren an einem Alphabetisierungskurs, weil dieser in unmittelbarer Nähe eines Tempels stattfand und die Unberührbaren sich an das Verbot, diesen Ort aufzusuchen, hielten.
Hoffen, dass Österreich das Projekt weiter finanziert
Das WHEEL-Projekt mit seiner Betonung auf der Hilfe zur Selbsthilfe ist ein Lernprozess für alle Beteiligten, die Menschen an den Projektorten wie das Didibahini-Team selbst, betont Leiterin Saloni Singh. Es ist einfach komplizierter und komplexer, als die Durchführung einer spezifischen, physisch greifbaren Infrastrukturmaßnahme wie der Errichtung einer Schule oder der Installation von Brunnen. Es braucht vor allem mehr Zeit, viel mehr Zeit als die vertraglich vereinbarten zwei Jahre, die nun auslaufen. Noch steht nicht fest, ob Österreich neue Mittel für die Verlängerung von WHEEL wird flüssig machen.
"Wenn Kalpana geht, wie sollen wir dann alleine weitermachen?", fragt eine besorgte Frau in Dadhikot. "Wir benötigen Kalpanas Unterstützung noch weiter", pflichtet eine andere bei. Vieles hat sich seit dem Frühsommer 2000 verändert, vieles ist im Fluss. Doch noch fühlen sich die Einheimischen zu unsicher, um ganz ohne Unterstützung von außen - in ihrem Fall von Kalpana - das Begonnene weiterzuführen. Noch sehen sie die große Gefahr, dass sie stecken bleiben und alles wieder zu Bruch gehen könnte. "Wir brauchen Zeit", sind sich die Frauen einig.