Werbung
Ein Zeigefinger wie ein Holzhammer
700 manipulierte Großplakate wider die gängigen Lügen der Werbung
"Trau dich doch." Dieser galante Schubs traf einen
Gutteil der männlichen Österreicher 1981 voll ins Feuchte.
Flächendeckend affichierte
die Traditionsmarke Palmers
eine, im Vergleich zur weichgezeichneten Kuschelware
und dem "nahtlosen Charme"
der 70er-Jahre, recht speziell
sachbezogene Plakatserie -
und evozierte Erregung. Offiziell war natürlich Frau
angesprochen, sie solle sich
trauen, vermittels die äußeren
Werte betonender Dessous die
eigene Sinnlichkeit zu entdecken. Merke, Frau! - "Du bist
schön." Und wieder sah Mann sich dadurch in die Rolle des
begehrten Objekts versetzt
und kaufte, um diesen Zustand tage- und nächtelang
aufrechterhalten zu können,
sogleich seidene Boxershorts -
allzeit bereit, seine Schönheit
zu beweisen.
Die Fantasie der vorwiegend
guten heimischen Katholiken
noch weiter zu beflügeln half
auch noch die dreieinige
Struktur der Sujets. Palmers
hatte es geschafft, seiner Werbung verdeckt das Wort "Ich"
einzuschreiben. Mit einem
Schlag vergessen der halb lange Feinripp mit doppelseitigem Ausstieg, eingemottet die
hygienerosa Combinage. Endlich ließ sich um Gutscheinmünzen Selbstwert im Zeitgeist kaufen.
So funktioniert gelungene
Werbung immer schon. Sie
täuscht, behauptet, dass
durch den Kaufakt der ersehnte Zufall, das Wunder, zur
Realität wird. Werbung ist
strategischer Kitsch. Da belebt
Mineralwasser die Sinne, da
findet Leidenschaft statt, da
ereignet sich Karriere. Vermittels Römerquelle trinkt man
sich ins Zentrum lasziver Orgien, dank Wifi überholt das
"Ich" im Nu den Chef, kann
fürderhin dem Austeilen frönen, anstatt sich weiterhin
magenkrank im Dulden üben
zu müssen. Werden solche
Wegweiser zum Heil "befleckt" - etwa mit kommentierenden Graffitis überzogen -,
tauscht der Traumanbieter sie
kurzerhand gegen neue.
Was aber, wenn dem einmal
nicht so ist? Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß haben im Schutz der Werkstatt
Kunst an der Oberfläche der
Werbung gekratzt, um solcherart das eingeschriebene
"Ich" freizulegen. Einen Monat lang soll sich so von Wiener Plakatwänden aus das
Scheinhafte an der versprochenen Befriedigung im Bewusstsein der passierenden
Öffentlichkeit einschreiben.
Der simulierte Akt des gewaltsamen Freilegens soll mit diesem Projekt zur Aufklärung
führen.
Das darf bezweifelt werden.
Werbung versteckt ihre Strategien nicht und hat das auch
gar nicht nötig. Ihre Mittel
dürfen als ebenso allgemein
bekannt vorausgesetzt werden
wie die Produkte ihrer Anwendung. Einen entscheidenden Punkt lassen Mittmannsgruber und Strauß außen vor:
Werbung nutzt die menschliche Eigenart, sich nicht fortwährend reinigen lassen zu
wollen. Bisweilen braucht unsereins eine Katharsispause,
will sich einfach rühren lassen, will reduziert auf Glückseligkeit einfach so in den Tag
hineinträumen, will geborgen
im Klischee ein Happyend erleben. (Markus Mittringer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. Jänner 2002)