In der Auseinandersetzung um den Transitverkehr wird üblicherweise von einem Interessengegensatz zwischen der EU-Kommission und den Bewohnern der engen Täler, vornehmlich jenen in Tirol, ausgegangen. Regierung und Parlament in Wien werden dabei aus Tiroler Sicht als Verbündete betrachtet, denen man nur die richtigen Aufträge erteilen müsse.

Jetzt hat Kommissar Fischler offen gelegt, dass Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Verkehrsministerin Monika Forstinger beim EU-Gipfel einer Streichung der Obergrenze bei den Transitfahrten nicht bloß zugestimmt, sondern diesen Vorschlag selbst ins Treffen geführt haben. In den Stellungnahmen Tiroler Politiker ist prompt von "Verrat" und "verkauften Interessen" die Rede, die Regierung wird zu einer "ehrlichen Politik" aufgefordert. Der neue blaue Landesobmann meint gar, es liege ein Irrtum vor und fordert ein Dementi aus Wien.

Vergeblich, versteht sich. Es gibt kein nationales Interesse, wonach weniger Lkw über den Brenner fahren sollen. Nicht erst der jüngste EU-Gipfel offenbart, dass der Schutz geplagter Autobahnanrainer bei den österreichischen Verhandlern nicht prioritär ist. Nüchtern betrachtet ist das spätestens seit den Ergebnissen der Transit- und Beitrittsverhandlungen bekannt. Wobei übrigens als Einziger Wolfgang Schüssel bei allen Verhandlungen in entscheidender Position dabei gewesen ist.

Selbst ein "Tiroler Interesse" ist eine Fiktion. Die lokale Frächterlobby ist stark und mit ihren Bedürfnissen innerhalb der im Lande maßgeblichen Volkspartei allen Unkenrufen zum Trotz gut aufgehoben. Dass unter diesen Voraussetzungen die Mehrzahl der Tirolerinnen und Tiroler unzumutbaren Lebensbedingungen ausgesetzt ist und das sensible alpine Ökosystem langfristig ruiniert wird, ist offenbar eine andere Geschichte. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 11.1.2002)