Paris - Über dem französischen Kinohimmel ziehen nach einer märchenhaft erfolgreichen Saison dunkle Gewitterwolken auf. "Ist das wunderbare Jahr des französischen Films das letzte gewesen?", sorgt sich die Kulturzeitschrift "Telerama". Den Anlass bot Jean-Marie Messier, Chef des weltweit zweitgrößten Medienkonzerns Vivendi Universal. Das Unternehmen ist de facto an der Filmförderung beteiligt, und Messier hatte diese unverhohlen in Frage gestellt. Staatspräsident Jacques Chirac antwortete nun: "Kunstwerke und Kulturgüter mit ganz gewöhnlichen Handelsgütern gleichzusetzen, zeugt von tiefer geistiger Verwirrung." Vor wenigen Wochen hatte es Messier in New York die "exception culturelle" für tot erklärt. Die Zauberformel der "kulturellen Ausnahme" war 1994 bei den GATT-Verhandlungen gefunden worden. Damals hatte sich Frankreich dafür eingesetzt, dass Kulturprodukte nicht wie die übrigen Handelsgüter behandelt werden dürfen. Seitdem haben die Nationen das Sonderrecht, ihre Filmindustrie zu schützen, und Frankreich macht von diesem Recht fleißig Gebrauch. Das Unternehmen Vivendi Universal hat vor einem Jahr den französischen Fernsehsender Canal Plus aufgekauft, der 20 Prozent seines Jahresumsatzes in französische Kinoproduktionen investieren muss. Ein Ausstieg von Canal Plus aus dem Subventionssystem könnte die bisherige Filmförderung zusammenbrechen lassen. Denn der erfolgreiche Privatsender trägt mehr als ein Viertel der gesamten Produktionskosten. Es kommt nicht selten vor, dass bis zu 50 Prozent der französischen Filme eines Jahres von ein und derselben Gruppe stammen - Vivendi Universal. Frankreich ist stolz auf den Erfolg seines einzigartigen öffentliches System der Filmförderung, das viele ausländische Produzenten und Filmemacher neidisch werden lässt: 170 Filme wurden im vergangenen Jahr gedreht, die Zahl der Zuschauer, die sich französische Produktionen ansehen, ist um mehr als 50 Prozent gestiegen. Allein den Erfolgsfilm "Amelie", inzwischen zu Europas Film des Jahres gekürt und mit Chancen bei der Oscar-Vergabe ausgestattet, sahen in Frankreich acht Millionen Besucher. Erstmals fiel der Marktanteil des US-Films unter 50 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland beherrscht Hollywood mit meist über 80 Prozent den Kinomarkt. Der Vorwurf "Messiers Interessen sind amerikanischer Art. Er ist von einem Gedanken besessen: das System explodieren zu lassen. Damit verhindert er das Überleben des französischen Kinos, steigert aber seinen Gewinn", kritisierte die französische Wochenzeitung "Le Nouvel Observateur" den Unternehmer. Mitarbeiter des staatlichen Zentrums für Filmwirtschaft (CNC) in Paris zeigen sich verunsichert: "Vielleicht sollte man generell den Anteil der Fernsehsender (an den Kinoproduktionen) etwas reduzieren." Für Elisabeth Flüry-Herard, Direktorin des Instituts zur Finanzierung des Kinos und der kulturellen Industrien (IFCIC), steht folgender Aspekt im Mittelpunkt: "Haben wir ein wirtschaftliches Modell, das noch funktioniert?" (APA/dpa)