Wien - Mariss Jansons, von Publikum und Orchester gleich gern gesehener Stammgast am Dirigentenpult der Wiener Philharmoniker, kennt die Schwierigkeit der Zusammenarbeit mit der so genannten Demokratie der Könige zur Genüge. Sie besteht im Wesentlichen darin, dass es überhaupt keine Schwierigkeiten gibt. Abgesehen davon, dass man Königen sowieso nichts anschaffen kann, spielen sie einfach zu gut, als dass man ihnen etwas anschaffen könnte, auch wenn man dies wollte. Streng genommen müsste dieser Zustand zu einer interpretatorischen Entropie führen, zu einem ein für allemal erreichten statischen Klangzustand, der, egal wer nun dirigierend vor ihnen steht, nicht mehr verändert werden kann. Tönende Aura Mit obsoleten Verweisen auf Auf- und Abstrich bei den Streichern lässt sich da wenig erreichen. Da ist schon komprimierte emotionelle Intensität gefragt, um in das Feinstoffliche dieses Ensembles einzudringen und an seine zwischen Ahnung und Hörbarkeit oszillierende Aura anzudocken. Mariss Jansons kann das. Seine obsessive Eindringlichkeit hat ihm schon zwei Herzinfarkte eingetragen und dem Wiener Publikum am vergangenen Wochenende drei brillante Konzerte. Und dies obendrein auch noch mit einem Programm, das aus nicht mehr bestand als aus einem angenehmen Wechselbad zwischen gehobenem Amüsement (Gioacchino Rossinis Diebische Elster -Ouvertüre nebst Romeo und Julia -Suite von Sergej Prokofjew) und in klassische Form gegossener Romantik (Felix Mendelssohn-Bartholdys Schottische Symphonie ). Was ganz besonders für dieses Unternehmen spricht, ist der gelungene Versuch (oder auch, was die Sache noch besser machte: das unversuchte Gelingen), aus diesem Programm ein neues Werk mit drei stilistisch heterogenen Sätzen zu machen. Dies ist auf Jansons' vom Orchester bestens begriffene und auch spontan umgesetzte Intention zurückzuführen, einzelne Abschnitte zu größeren formalen Einheiten zu bündeln und ihm wesentlich Erscheinendes wie mit Filzstift markiert dynamisch besonders kräftig zu akzentuieren. Effekt und Struktur Im Falle des Rossini-Openers brachte dies so manchen bisher in diesem Grad noch nicht festgestellten Schatteneffekt, der die federnde Behändigkeit des Gesamtflusses mitunter etwas einschränkte. Während Mendelssohn-Bartholdys Schottischer wurde der Hörer durch Jansons' aktuelle philharmonische Lesart stärker auf das erstaunlich dichte strukturelle Gefüge des Werkes als auf dessen anekdotische Melodik verwiesen. Voll zu decken schienen sich Effekt und Struktur in ganz besonderem Maß in Prokofjews Suite aus dem Ballett Romeo und Julia , womit die Schleusen der Begeisterung vollends geöffnet waren. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 1. 2002)