Aus dem VW-Werk in Dresden, wo sich in der neu errichteten "Gläsernen Manufaktur" die Großindustrie ganz transparent gibt, soll sechsmal jährlich Denken "live" übertragen werden: Angeführt von zwei Moderatoren, dem prominenten Denker der Nach-Aufklärung Peter Sloterdijk (bekannt geworden durch seine Kritik der zynischen Vernunft 1983, zuletzt durch seine Interventionen im "Menschenpark" der Gentechnik) und dem Schopenhauer-Biografen Rüdiger Safranski, will das öffentliche Fernsehen hier die Angst vor der Philosophie abbauen: Im Glashaus. Das Philosophische Quartett. "Ich bin ja selbst der größte Skeptiker." Sucht das ZDF hier eine Nachfolgesendung für Das Literarische Quartett? Eine weitere Talkshow? Oder, mit Kant gefragt: Was können wir wissen, was dürfen wir hoffen? Im Gespräch mit dem STANDARD präsentierte Peter Sloterdijk einen keineswegs starren Plan für die Sendereihe: "Ich bin ja selbst der größte Skeptiker." Zugleich zeigt er sich aber auch in hoffender Aufbruchsstimmung: "Dieses Format ist in seiner Art völlig vorbildlos. Es ist eine Alternative zum gedruckten Feuilleton, die in dieser Form noch nie probiert worden ist. Bei uns wird es keinen Raum für Selbstdarstellungen geben. Und wir haben auch keinen Menschen, der das Gespräch so überragt wie der große Vereinfacher Marcel Reich-Ranicki." Angst Das Thema der ersten Sendung (am 20. 1. um 22.45 im ZDF): Angst, ausgehend von den Erfahrungen des 11. September 2001. Weitere Themen für dieses erste Jahr sind u. a. Bildung, Psychoanalyse und die Wiederkehr der Religiösen. - Daher Fragen genug für ein Interview: STANDARD: Jetzt scheiterte gerade Roger Willemsen beim Versuch, eine etwas gehobenere Talkshow im Fernsehen zu machen, an der Quote. Und Sie kommen just jetzt mit der schwierigen Philosophie? Sloterdijk: Es ist nicht zu fürchten, dass es zu schwierig wird. Eher wird es wohl zu enttäuschten Erwartungen kommen. Aber mir scheint das Fernsehen mit seiner besseren Hälfte doch eine Fortführung des Schriftmediums Feuilleton zu sein. Jedenfalls auch ein Wortmedium, das die Qualität von guten Zeitungen oder von deutschen Rundfunkstudios anstreben sollte. Und: Das ZDF hat uns keine Quoten vorgegeben. STANDARD: Im Mann ohne Eigenschaften ironisiert Robert Musil das Vorhaben des umfassenden Geistesmenschen Walter Rathenau, "Geist in Machtsphären zu tragen". In der Verbindung von VW, ZDF und Philosophie-Talk scheinen Sie dies anzustreben. Ist das nicht viel Risiko? Sloterdijk: So ein öffentliches Gespräch zu viert ist sicher ein Risiko, es ist ja ein Experiment. Eine tastende Bewegung in einen Raum, wo Menschen im Medium Fernsehen noch nie gewesen sind. In den ersten Sendungen werden wir das zu entwickeln versuchen. STANDARD: Sie selbst nannten die Abstraktionen Kants in Ihrer Kritik der zynischen Vernunft als einschüchterndes Beispiel, dem Sie ein sinnlicheres Denken zugesellen wollten. Sie hatten damit großen Erfolg. Aber Fernsehen ist doch etwas anderes, und wie wollen Sie darin die Schwellenangst vor der Philosophie abbauen? Sloterdijk: Ich glaube weniger an Schwellenangst, sondern viel stärker an ein tiefes Bedürfnis an Philosophie. Das zeigt sich überall, dieses Bedürfnis. Und deshalb glaube ich, dass das Medium Fernsehen da neue Möglichkeiten entfalten kann. Schwellenangst gibt es immer dort, wo Menschen an ihre eigenen Traumatisierungen erinnert werden: Die Schule treibt im Erwachsenwerden der Menschen diesen jede Sinnlichkeit aus und erzeugt in eigentümlichen Bildungsanforderungen, an denen viele scheitern, eine Kette von Demütigungen. Auch heute muss man Philosophie immer noch befreien vom Vorurteil, dass sie ein Aufsteigen zu immer höheren Abstraktionen ist. STANDARD: Und wie? Sloterdijk: Durch Fallbeispiele, Anekdoten. Viel lässt sich lernen aus der Entwicklung der Romanform. Auch die Philosophie muss erzählender werden. Das war schon der Standpunkt Nietzsches: statt abstrakter Stratosphären das Erzählen. Eigentlich lebt davon auch der junge Ernst Bloch und auch noch Adorno in seiner Minima Moralia. STANDARD: Das waren aber doch monologische Erzähler. Und Adorno auch sehr streng und knapp. Sie aber wollen im Fernsehen ein Erzählen zu viert in Gang setzen. Sloterdijk: Die Entwicklung von Gesprächen lässt sich nicht vorausplanen. Wichtig ist dabei der Kontrast: Nicht nur zwischen mir und Rüdiger Safranski, sondern auch zwischen unseren Gästen. STANDARD: Wer sind denn Ihre ersten beiden Gäste? Sloterdijk: Reinhold Messner und Friedrich Schorlemmer. STANDARD: Also ein Berg- und ein Talphilosoph, wenn ich Schorlemmer, der am Aufbrechen der DDR im Jahr 1989 maßgeblich beteiligt war, so bezeichnen darf, im Sinne von Brechts "Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns/vor uns liegen die Mühen der Ebenen". - Sie verstehen "Philosophie" offensichtlich sehr breit und offen? Sloterdijk: Ja, und eben nicht als Pflichtveranstaltung. Es gibt eine neue Konjunktur des Interesses an Philosophie, aber eine völlig andere Konjunktur, als es sie nach dem Krieg mit dem Interesse an Existenzialismus, Psychoanalyse und Marxismus gab. STANDARD: Woraus erklären Sie sich dieses neue Interesse? Sloterdijk: Die neuen Entwicklungen, etwa die Gentechnik, haben zwar mit dem Menschen zu tun, aber dieser erkennt sich darin kaum wieder, und das erzeugt Fragen und das Bedürfnis nach ihrer Erläuterung: Was haben die Menschen mit ihrem Genom zu tun? Es gehört zum Menschen, ist die Struktur, auf der er aufruht, aber es ist keine Begegnung damit möglich. Es gibt nicht mehr das Gefühl des Nachhausekommens. Das ist unser Ausgangspunkt. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 14. Jänner 2002)