Inland
Die Pflicht abgeschafft: Unterricht soll Spaß machen
Österreichs erste Montessori-Sekundarschule setzt auf Freiwilligkeit
Wien - Keine Klassenzimmer, keine Schultafeln und keine Schularbeiten. Gelernt wird nicht in streng gegliederten Klassen, sondern in "Bereichszimmern" in adaptierten Altbauwohnungen. Es gibt einen Mathematikraum, ein Sprachenzimmer oder eine Ecke für naturwissenschaftliches Experimentieren. Die
Kinder sitzen auf bequemen Sofas oder liegen ganz einfach am Boden herum - dazwischen die Lehrer.Für Schüler einer Regulärschule muss die Montessori-Schule in der Wiener Westbahnstraße wie das Paradies
wirken. "Freiwillig" heißt hier das Zauberwort. Beispiel Hausübungen: Die gibt es zwar, aber "nicht angeordnet", wie Schuldirektorin Brigitta Weninger betont: "Wenn wir das Gefühl haben, dass ein Schüler in einem Fachgebiet Probleme hat, raten wir zu Hausübungen."
"Es gibt keinen Druck"
Latein lernen ohne Muss? Glaubt man der Direktorin, dann "passiert es automatisch". Den Schülern ist eines
gemein - sie lehnen das herkömmliche Schulmodell ab. "Ich kann mir hier aussuchen, was ich lernen will. Es gibt keinen Druck", sagt die 14- jährige Sarah stellvertretend für die anderen Mädchen, die gerade im Sprachenzimmer lernen. Gut sei auch, dass sie sich eine Stunde frei nehmen könnten, wenn sie wollen.
Schulbeginn ist jeden Tag um halb neun - für jene, die wollen. Natürlich können auch Tage "frei genommen"
werden. Ein Angebot, das vor allem die Älteren nutzen. Eine Anwesenheitsliste wird allerdings geführt, schließlich gilt es, nicht gegen das Schulzeitgesetz zu verstoßen. So müssen beispielsweise 15-Jährige
(5. Klasse) 34 Schulstunden pro Woche absolvieren.
"Hilf mir, es selbst zu tun"
Seit September 1999 gibt es die Privatschule - in Österreich die einzige ihrer Art. Angefangen wurde mit 32
Kindern. Heute unterrichten zwölf Lehrer 137 Kinder im Alter von von sechs bis 16 Jahre. Wobei "unterrichten" das falsche Vokabel ist: Hier hilft der Lehrer nach dem Montessori-Prinzip "Hilf mir, es selbst zu tun", den Weg zu finden. Die erbrachten Leistungen werden in einem Heft, dem Pensenbuch, von den Lehrern eingetragen.
Gegründet hat die Direktorin "ihre" Institution aus Frust über die Regelschule: "Ich habe 20 Dienstjahre als Mathematik-, Turn- und EDV-Lehrerin. Meine Vorstellungen konnte ich damals nie umsetzen." Unzufrieden sei damals ein Hilfsausdruck gewesen. In den Niederlanden und in Deutschland, wo es diesen Schultyp schon länger gibt, habe sie die nötige Erfahrung gesammelt. Dann musste der Stadtschulrat noch überzeugt werden.
Heute wird wieder mit der Behörde verhandelt, auch wenn die Privatschule längst anerkannt ist. Das Thema sind Prüfungsmodalitäten, denn in zwei Jahren gibt es die ersten Maturanten, sowie die massiven Platzprobleme. Sie habe schon mehr als 20 Häuser begutachtet, erzählt die Schulleiterin. Scheitern würde es
meist an der zu hohen Miete. Eines will man nämlich nicht: den Schulbeitrag von 218 Euro (3000 Schilling) monatlich drastisch erhöhen. Weninger: "Wir wollen keine Eliteschule sein, daher ist der Preis so niedrig angesetzt wie möglich."
(DER STANDARD, Printausgabe, 15.1.2002)