Im 16. Stock seines Büros mit Blick auf die Stadt, die in den beiden vergangenen Jahren viele Dotcom-Leichen aus dem Silicon Valley vorbeitreiben sah, strahlt David Talbot die Ruhe eines Menschen aus, der dem Tod ins Auge geblickt und überlebt hat. Nicht dem eigenen Tod, aber dem seines 1995 gegründeten Unternehmens salon.com , dem dienstältesten eigenständigen Webmagazin und neben dem von Microsoft finanzierten Slate eines der letzten kommerziellen Medien, das aus der Gründerphase des Internets erhalten blieb. 1999, als die Dotcom-Welt noch in Ordnung war, führte Talbot sein feuilletonistisches Magazin mit Erfolg an die Börse; 35 Mio. Dollar (39 Mio. ?/ 540 Mio. S) sollten bei wachsendem Anzeigenertrag die Fahrkarte zum Erfolg finanzieren. Aber es kam anders. Technologie- und Internetunternehmen stürzten ab und mit ihnen der Werbemarkt, der Salon im Jahr 2000 Rekordeinnahmen von zehn Mio. Dollar beschert hatte. "Nahe dem Ende" "Wir waren nahe dem Ende", erzählt Talbot im Gespräch mit dem Standard, "aber wir waren smart genug, nicht außer Kontrolle zu geraten." In drei Sparrunden wurden Aufwand und Mitarbeiterstab drastisch reduziert, von 150 auf eine Mannschaft von rund 70 Vollzeitmitarbeitern, die das täglich erscheinende Magazin heute produzieren. "Der Moment, wo es um Biegen oder Brechen ging, kam vergangenen Sommer. Wir konnten unsere Investoren davon überzeugen, dass wir ein richtiges Produkt und eine große und loyale Leserschaft haben und dass wir diese Loyalität in bezahlte Abonnements verwandeln können", sagt Talbot, der zuvor Redakteur beim San Francisco Examiner war. Gebühren "Während die Rezession jede Woche Dutzende Dotcoms umbrachte, konnten wir nochmals 3,25 Mio. Dollar aufbringen." Um Profitabilität zu erreichen, brach Salon mit einem Webtabu und führte Gebühren ein. Für 30 Dollar im Jahr bekommen Abonnenten "Premium-Inhalte": ein werbefreies Blatt, die tägliche Ausgabe als Download und spezielle Beiträge, die nicht zahlendem Publikum versperrt bleiben. 30.000 Leser lösten innerhalb weniger Monate ein Abo, was bereits eine Mio. Dollar zum Gesamtbudget von acht Mio. Dollar beisteuert. Das Potenzial sieht Talbot bei den 250.000 "Hard- Core"-Lesern des Magazins; insgesamt zählt salon.com monatlich drei Millionen "unique visitors". Daneben verdient Salon mit Syndizierung von Magazininhalten an andere Medien sowie durch langsam wieder steigendes Werbeaufkommen. "Wir werden heuer profitabel sein." Und Sex Mit seinen pointierten Beiträgen von Politik, Wirtschaft und Kultur bis zu Technologie und Sex wirkt Salon wie eine jüngere, frechere Version des renommierten New Yorker. "Wir wollten ein kontroversielles Magazin gründen, das sich nicht davor fürchtet, Werbekunden und Leser vor den Kopf zu stoßen und auch Gegensätze nicht scheut", sagt Talbot. Zu nationaler Bekanntheit gelangte das Magazin am Höhepunkt des Impeachment- Verfahrens gegen Clinton, als es eine langjährige außereheliche Affäre des republikanischen Ausschussvorsitzenden Henry Hyde aufdeckte. In jüngster Zeit hat Salon die Interventionen in Bosnien und im Kosovo sowie den Krieg in Afghanistan unterstützt, "eine schwierige Evolution für mich, da ich ausgesprochen friedensbewegt war", sagt Talbot. "Aber wir haben auch Noam Chomsky und Susan Sontag interviewt und sind für andere Standpunkte offen." (Helmut Spudich aus San Francisco, DER STANDARD, Printausgabe 15.1.2002)