Erinnern Sie sich noch an die Haider-Taferln in den Fernsehdiskussionen, als er die Gehälter der "Bonzen" mit jenen der Bauarbeiter kontrastierte? Die wählten dann auch zuhauf die FPÖ, weil sie (wie übrigens viele Pensionisten) glaubten, nach einer blauen Machtübernahme würden ihnen die gebratenen Tauben von selbst zufliegen. Heute ist die FPÖ in der Regierung, und das Gegenteil ist der Fall. Es gibt keine Umverteilung à la Haider. Auch ohne einen besonders kalten Winter stünde fest: Die Bauwirtschaft stagniert, weil es an öffentlichen Investitionen fehlt.

Haider himself fiel bei der wochenendlichen Anti-Temelín-Feier der Freiheitlichen nur ein matter Vergleich ein; während die Lehrer Ferien hätten, müssten die Bauarbeiter stempeln gehen. Er greift tatsächlich immer öfter in die Mottenkiste oder ruft Krisen aus, die keine sind. Jenseits der rhetorischen Wirklichkeit wären in Österreich ganz andere Fragen zu besprechen als die Problematik Temelín oder die Ortstafelfrage in Kombination mit dem Verfassungsgerichtshof.

Man mag (und darf) mit etlichen Ansichten des frisch gekürten Unionskandidaten für das deutsche Bundeskanzleramt nicht einverstanden sein, aber eines hat Edmund Stoiber erkannt und blitzschnell in den Vordergrund gestellt: die Debatte um die Lösung der Arbeitslosenfrage. Der Gegenkandidat von Bundeskanzler Gerhard Schröder hat keine Theaterkulissen aufgebaut, er hat das zentrale Thema der Politik benannt: Haben wir genug Arbeit? Und: Welche Wirtschaftspolitik braucht Deutschland?

Natürlich ist auch den öster- reichischen Politikern die hohe Arbeitslosigkeit aufgefallen. Sie nähert sich der magischen Grenze von 300.000. Niederösterreich leidet überhaupt an der größten Arbeits- losigkeit seit Bestehen der Zweiten Republik. Aber die Regierung streitet um Temelín, statt sich intern und intensiv die Frage zu stellen, ob man mit dem Festhalten am Nulldefizit nicht bleibenden Schaden anrichtet. Und der Arbeitsmarkt insgesamt zum Pflegefall wird. Siehe fehlende IT-Kräfte, siehe Aushungerung der Universitäten.

Aber schauen wir in die symbolträchtige Bauwirtschaft. Es fehlt an kräftigen Impulsen. Firmen, die sich kaum noch über Wasser halten, werden auch in der Phase einer konjunkturellen Erholung nicht so schnell die Kraft haben, sich hochzuziehen: Fachkräfte stehen nicht mehr zur Verfügung, der Maschinenpark wurde abgestoßen. Der FPÖ und ihrem Finanzminister Grasser wäre zu raten, sich bei anderen konservativen Regierungen Anleihen zu nehmen. Zum Beispiel beim amerikanischen Präsidenten George W. Bush.

Umso erstaunlicher ist, wie schwach die Attacken von SPÖ und Gewerkschaften sind. Vielleicht ist der ÖGB nach dem Vorbild großer Unternehmen mit seinen Fusionen beschäftigt? Vielleicht hat die ÖGB-Führung vergessen, dass sie im Herbst 2001 eine sehr erfolgreiche Urabstimmung inszeniert hat? Selbst der Bauarbeiter-Chef Johann Driemer geht lieber unter die Therapeuten und will arbeits- lose Hackler umgeschult haben: "Beim Transport der Kranken sind ja kräftige Hände gefragt", vertraute er dem STANDARD an.

Umschulen müsste man die Regierung, ein Umdenken wäre der erste Ansatz beim Wirtschaftsminister, der die "Überkapazitäten" am Arbeitsmarkt ebenfalls den Thermenregionen des Landes zukommen lassen möchte. Hundertwasser-Pflege in Burgau oder Asthma-Assistenz in Oberzeiring und Bleiberg. So wird es nicht gehen. Aber es gibt noch Hoffnung: dass man sich, wie so oft, von der deutschen Debatte anstecken lässt und die Lösung der Arbeitsplatzfragen zu einer Causa prima macht.

Leider lassen sich auch die Österreicher selbst leicht unterhalten. Durch ein Volksbegehren, das nichts bringt (außer mehr Auflage für ein Massenblatt), und durch medizinische Befunde über einen Landeshauptmann: "Sein irrer Kampf". Narrisch guat für das politische Theater. Schlecht für Österreich.

(DER STANDARD, Printausgabe, 15.1.2002)