Halbturn/Wien -Ende August 1986 pflügte man mitten in einem großen burgenländischen Feld ein Stück Vergangenheit hervor, das nun höchst interessant Aufschluss über die Lebensweise längst untergegangener Kulturen geben kann. Unter den Pflugscharen war damals die Deckplatte eines römischen Sarkophags zum Vorschein gekommen; nicht zuletzt dem Grundbesitzer Paul Waldbott-Bassenheim ist es zu verdanken, dass die Feldarbeit sofort eingestellt, Archäologen geholt und mit der Grabung begonnen werden konnte.Heute ist der Acker als Gräberfeld von Halbturn bekannt. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Falko Daim vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien und mit Mitteln des Wissenschaftsfonds konnten neben dem ersten Grab auf einer Fläche von rund 6000 Quadratmetern noch rund 320 weitere Grabstellen geortet und ausgewertet werden, wobei die südliche Zone des Feldes noch nicht freigelegt ist. Begräbnisritus neu Dieser spätantike Friedhof stammt aus der Zeit vom 2. bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts und gehörte zu einem römischen Gutshof, einer Villa rustica, der 350 Meter östlich des Gräberfeldes ebenfalls lokalisiert werden konnte. Das Gräberfeld von Halbturn ist insofern eine Rarität, als bisher in unseren Breiten ungestörte spätantike Friedhöfe nicht bekannt waren. "Gräber", sagt Daim, "sind das Ergebnis eines Theaters für Lebende." Vor allem in Zeiten des Umbruchs hätte sich stets ein elaboriertes Bestattungszeremoniell entwickelt. Im Falle Halbturns sei ein Ritenwechsel feststellbar, der mit dem 4. Jahrhundert einsetzte. Hatte man die Toten zuvor verbrannt, ging man nun zu Körperbestattung über. Aus der Auswertung dieser Totenfunde können nun präzise Rückschlüsse auf die Lebenden gezogen werden. Besonders interessant ist natürlich die Grabausstattung selbst. Daim ortet vor allem in den jüngeren Gräbern ein "deutliches germanisches Element", das sich etwa in der Herstellungsweise von Fibeln und Werkzeugen verdeutlicht: "Es ist hochinteressant, wie sich die Völkerwanderungszeit in einem kleinen Kaff auswirkt, wie die römische Geisteshaltung mit raffinierten Technologien der barbarischen gegenübersteht." Anhand der Skelettbefunde von erwachsenen Gelähmten und von Kindern mit deformierten Schädeln lässt sich auch feststellen, dass man sich bereits zur Römerzeit um Behinderte gekümmert hat. Ohne Integration wären sie nicht erwachsen geworden. Aus Anzahl und Alter der Gräber lässt sich errechnen, dass im Schnitt 25 Leute die nahe Villa rustica bevölkert hatten. "Wir wollen nun wissen, wie die Menschen dort gelebt haben", so Daim. Das Mittel zum Zweck ist nicht allein die archäologische Prospektion sowie die Aufnahme der Funde, sondern etwa auch archäobotanische, archäozoologische und anthropologische Untersuchungen. Analysen verkohlter Pflanzenreste aus Brandgräbern offenbaren etwa, dass verschiedene Getreidearten wie Weizen, Emmer, Dinkel, Gerste, Hirse sowie Linsen, Erdbeeren, Feigen kultiviert wurden. Untersuchungen von Tierknochenmaterial lassen Rückschlüsse auf den Viehbestand sowie die Bedeutung von Haustieren im Rahmen des Bestattungszeremoniells zu: Die Römer hielten Rinder, Pferde, Hunde und benutzten offenbar einen Graben im Grenzbereich des Friedhofes als Abfallstelle für Knochen. Die endgültige Auswertung aller Funde sowie Untersuchungen im Bereich der Villa stehen noch bevor. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 1. 2002)