Mensch
Mögliche Ursache von Angsterkrankungen entdeckt
Je weniger Serotonin-Rezeptoren im Gehirn, umso anfälliger für Panikattacken
Wien - Wenn diese Befunde halten, was sie versprechen,
stehen die Wissenschafter vor der biologischen Erklärung von
Angsterkrankungen, zum Beispiel von "Panikattacken": Univ.-Prof. Dr.
Johannes Tauscher von der Psychiatrischen Universitätsklinik in Wien
hat bei einem Studienaufenthalt in Kanada (Toronto) zeigen können,
dass der Grad der Ängstlichkeit von Probanden von der Dichte
bestimmter Serotontin-Rezeptoren im Gehirn abhängt. "Den Ausschlag gibt die Positronen-Emissions-Tomographie (PET),
mit der man Stoffwechselvorgänge in Organen - auch im Gehirn -
praktisch Online verfolgen kann", erklärte Tauscher, Leitender
Oberarzt der Hauptambulanz an der psychiatrischen Universitätsklinik
in Wien.
Bei diesem Untersuchungsverfahren werden Moleküle extrem schwach
und kurzfristig radioaktiv markiert, dem Probanden injiziert und
schließlich deren Aufnahme im untersuchten Organ über die Zeit
verfolgt bzw. die Verteilung per Bild festgehalten.
Umfassende Studien geplant
Tauscher, der mit dem Verfahren jetzt an der Wiener Klinik größere
und umfassendere Studien durchführen will, wandte PET zum Studium von
psychiatrischen Störungen an. Der Wissenschafter: "Wir wissen, dass
Neurotransmitter (Nervenbotenstoffe) eine entscheidende Rolle in
psychischen Prozessen spielen. Das gilt aber auch für die
Aufnahmestellen, die Rezeptoren, dieser Substanzen."
Die zwei wichtigsten Neurotransmitter- bzw. Rezeptor-Systeme, die
beim Menschen eine Rolle spielen: Serotonin und Dopamin. Bekannt ist,
dass an Depressionen leidenden Menschen mit Medikamenten geholfen
werden kann, welche die Konzentration von Serotonin im Spalt zwischen
Nervenzellen erhöhen (selektive Serotonin-Reuptake-Hemmer - SSRIs).
Ein Mangel an Dopamin führt zum Morbus Parkinson. Das Dopamin-System
dürfte auch beim Suchtverhalten eine Rolle spielen.
Der Psychiater konzentrierte sich auf das Serotonin bzw. die so
genannten Serotonin-1A-Rezeptoren (5HT-1A-Rezeptoren) um die
Anfälligkeit von Menschen für Angstzustände zu erforschen. Darauf
deuteten auch Untersuchungen an "Knock-Out-Mäusen" hin, bei denen man
das Gen für 5HT-1A-Rezeptoren ausgeschaltet hatte.
Mit zunehmendem Alter weniger Rezeptoren
In einer viel beachteten Arbeit, die Univ.-Prof. Dr. Johannes
Tauscher im American Journal of Psychiatry veröffentlicht hat, gelang
es ihm und seinen Co-Autoren erstmals eine Verbindung zwischen der
Anfälligkeit für Angst und den Serotonin-Rezeptoren herzustellen.
Der Fachmann: "Wir haben 19 gesunde Probanden im Alter zwischen 22
und 53 Jahren mit einem umfangreichen psychologischen Fragebogen auf
den Grad ihre Ängstlichkeit untersucht. Dann haben wir in vier
Gehirnregionen mit der PET-Methode die Dichte der
Serotonin-1A-Rezeptoren gemessen." Das erfolgte, indem den Patienten
ein passender radioaktiver Stoff injiziert wurde. Die Substanz
besetzte die - vorhandenen - Rezeptoren.
Das Ergebnis: Weniger Serotonin-Rezeptoren im Gehirn und ein
psychologischer Testbefund in Richtung mehr Ängstlichkeit waren
eindeutig zu einander in Beziehung zu setzen.
Biologische Erklärung
Für Tauscher kann das die biologische Erklärung für
Angsterkrankungen, Phobien oder auch Panikattacken sein. Der
Psychiater: "Dabei muss man auch einrechnen, dass die Dichte der
Serotonin-Rezeptoren im Gehirn auf jeden Fall genetisch bedingt ist."
- Angsterkrankungen könnten so zu einem eindeutig fassbaren
organischen Leiden werden.
Weniger Angst im Alter
Doch die "Story" geht noch weiter: Epidemiologische Studien
zeigten zwar, dass Angststörungen mit zunehmendem Alter weniger
häufig diagnostiziert werden. Allerdings gehen Fachleute davon aus,
dass bei älteren Menschen diese Leidenszustände oft übersehen werden.
Dies ist umso brisanter, wenn man ein wichtiges Resultat der
PET-Studie beachtet. Tauscher: "Bei der Analyse der Dichte dieser
Rezeptoren bei den Probanden nach Lebensalter zeigte sich, dass sie
mit jedem zusätzlichen Jahrzehnt um zehn Prozent abnimmt."
Der Psychiater: "Mit PET gelingt es uns, wirklich an den
offenbaren Grund für psychiatrische Erkrankungen im Gehirn
heranzukommen. Das könnte auch bedeutsame Konsequenzen für die
Therapie bzw. für die Entwicklung von besseren Medikamenten haben." (APA)