Hebbe und Paul sind gut drauf.

Kippen schon mal die ein oder andere Flasche Bier. In Lidköping. Feiern. Sie haben allen Grund dazu. Die Detroit Auto Show 2002 liefert Stoff. Amphetamin- und nandrolonstrotzenden Superstoff, die entscheidende Grundlage zur Realisierung ihres Traums einer mobilisierten Welt. Autostudien: Fetter, monströser, bulliger. Das freut die beiden.

foto: raggare - the movie

"Size is everything"

heißt das Aphrodisiakum, das von der größten Automobilausstellung von ganz Amiland über den Atlantik schwappt und von Hebbe und Paul eingesogen wird wie das Benzin von einem Holley-Doppel-Vergaser.

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Hebbe und Paul sind Schweden.

Sie trinken nicht, sie saufen. Sie tanzen nicht, sie rocken. Sie fahren nicht, sie cruisen. Sie gehören zum Stamm der RAGGARE. Der Gott, dem sie huldigen, ist der Ami-Schlitten in seiner gefürchtetsten Materialisierung: Buicks, Chevys, Caddies - alles, was die Fünfziger und Sechziger an Dekadenz und Opulenz herzugeben hatten.

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Opfer des US-Imperialismus.

Sagen die, die sie nicht mögen. Punks zum Beispiel. Wer nun jedoch reflexartig die Kulturinvasions-Karte spielt, riskiert ein Bummerl.

foto: www.thisispunkrock.co.uk

Mitte der Fünziger

gehörten die ersten Raggare zur Vorhut unzufriedener junger Leute, die sich von ihren Eltern und von der schwedischen Wohlfahrtsgesellschaft zu distanzieren suchten. Sie wollten schlicht anders sein. Ein neues, ein eigenes Image musste her. Und wo befand sich die größte Imagevorlagen-Industrie? In Hollywood. Die Studios lieferten mit ihren "Teenpic"-Genrefilmen die Schablonen für den großen Ausbruch aus der kleinen Welt.

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Hebbe und Paul sind "Teen-Picker".

Raggare kommt vom schwedischen "Ragga" und steht für "Mädchen mitnehmen (aufpicken) und in logischer Konsequenz auf die nächste Party schleppen". Der Rest ist eine Frage der vorhandenen Phantasie und nun ist auch schon wieder Schluss mit dem Hormonellen.

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Die Raggare waren deftige Schläger,

lieferten sich in ihren Anfängen gerne mal ein Scharmützel mit der hiesigen Exekutive. Ein Polizist: "Ihre Autos sind eine wirkliche Bedrohung. Diese jungen Leute zeigen wenig Interesse an ihrer Bildung, am Lesen von Büchern oder an sportlichen Aktivitäten. Ihre Götter sind ihre Autos."

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Die richtige "Panier" detto.

Blue Jeans, schwarze Lederhaut und Stiefeletten, waren verstörend genug, ihre chromblitzenden Straßenkreuzer stellten jedoch für die damalige schwedische Gesellschaft eine pure Provokation dar: Der primitive Exhibitionismus kollidierte mit verkopftem Protestantismus. Das Auto als Symbol des radikalen Andersseins. Fakt ist: Den Raggare ging Schweden ...

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... am Schwedenpopsch vorbei.

Amerikanismus war Kult aber keine Religion. Die Raggare setzten auf Gegenentwurf und verpassten sich einen neue Uniform. Das Auto war die Speerspitze der schwedischen Spielart des Nonkonformismus. Die Halbstarken griffen Stilkomponenten der amerikanischen Hot-Rod- (SPEED!) und Costum-Car-Szene (STYLE!) auf, um sie mit schwedischen Versatzstücken zu einem neuen Amalgam zu verschmelzen. Kein schlechtes Konzept: IKEA macht das noch heute. Nur damals war das identitätsstiftend, heutzutage auch, aber anders.

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Die Zeiten ändern sich.

Aus den Revolutionären von gestern werden die Apparatschiks von heute. Die Raggare sind mittlerweile eine schwedische Institution. Das Ganze ist schräg bis zum Anschlag. Vom Jugendlichen bis zu Greis wird die Liebe zum Ami-Schlitten aufs bizarr-skurrilste zelebriert. Kaum eine Kleinstadt, in der sich die örtlichen Raggares nicht zu Clubs zusammen geschlossen haben.

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Durch-die-Innenstadt-cruising,

Ersatzteilhändler-Cruising, Wochenendcruising, Ersatzteilhändler-Cruising, Country-Festivial-Cruising, Wieder-nach-Hause-Cruising und Ersatzteilhändler-Cruising sind die Fixsterne im Universum des organisierten Nonkonformismus. Dazwischen und währenddessen:

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Saufen bis der Elch kotzt.

Danach: Sup och rulla runt, besoffen herumkugeln, wie der Schwede zu sagen pflegt.

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Ein Augenzeuge:

"When they get loaded, the raggare become very boisterous, and on more than one occasion I found myself in an unpleasant conversation with a really drunk fat guy. They are "close talkers" who tended to spit a lot when they spoke," vermerkt Craig, ein sichtlich irritierter US-Boy, in seinem Reisetagebuch. Der Arme. Kennt das nicht von z`Haus. Weil die All-American Mudracing-Championships: Bekanntlich eine einzige supersaubere Cola-Light-Degustation. Bekanntlich. (kommunikaze)

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Great Escapes - A Travelguide by Craig Nykiel

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