Bogotá/Wien - In Kolumbien wurden Mittwoch die beinahe gescheiterten Friedensgespräche zwischen der Regierung und der größten Guerillagruppe, den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc), wieder aufgenommen. Unmittelbar zuvor, Dienstagabend, sollen Rebellen eine Polizeistation im Norden des Landes beschossen haben. Über Opfer wurde nichts bekannt. Zwar hieß es, die Angreifer gehörten zu den Farc, eine offizielle Bestätigung gab es aber nicht. Im betroffenen Gebiet sind auch Rebellen der zweitgrößten Guerillaorganisation ELN und rechtsgerichtete Paramilitärs aktiv.Im seit rund 38 Jahren dauernden Bürgerkrieg in Kolumbien wurden bereits Hunderttausende Menschen getötet. Die Zahl der aus ihren Dörfern Vertriebenen wird auf bis zu 2,5 Millionen geschätzt. Die meisten dieser Binnenflüchtlinge ließen und lassen sich am Rand großer Städte nieder, in Slums. Allein in Soacha bei Bogotá lebt knapp eine Million Binnenflüchtlinge - in Hütten aus Wellblech, Karton und meist gestohlenen Ziegeln. "Es war im Winter vor vier Jahren", erinnert sich Estanislada. "Maskierte haben uns ins Freie gezerrt, geschlagen und mit Wasser übergossen. Dann haben sie unsere Hütte angezündet. Meinen Mann haben sie mitgenommen." Noch in derselben Nacht verließ die Frau mit ihren vier Kindern die kleine Obstplantage im Norden des Landes, die der Familie ein monatliches Einkommen von umgerechnet etwa 220 Euro (gut 3000 Schilling) gesichert hatte. Gerade genug zum Leben. Heute lebt die 37-Jährige mit den Kindern im Slum Soacha. Ihr Gatte blieb verschwunden. Den Strom haben sich die Flüchtlinge mit gestohlenen Kabeln vom staatlichen Netz illegal abgezapft. Wenigstens eine Wasserleitung hat die Regierung nach Soacha gelegt. Von der wird abgezweigt, wie und wo es nur geht. Übrig bleiben dünne Rinnsale vor Hunderttausenden Hütten. Die sanitäre Situation ist elend. Und nicht nur die. Zuerst konnte Estanislada für monatlich gut 100 Euro in einer Baumwollfabrik in Bogotá arbeiten. Illegal. Denn nur, wer offiziell als vertrieben registriert ist, erhält Arbeitserlaubnis. Estanislada ist nicht registriert. Kolumbiens Regierung erkennt kaum Binnenflüchtlinge als solche an - um die Zahlen und somit das Ausmaß des Problems offiziell gering zu halten, vermuten Betroffene. In Bogotá sind nicht einmal 400.000 Vertriebene behördlich registriert. Das jüngste ihrer Kinder sei dann krank geworden, erzählt die Frau weiter. Sie musste ihre Tochter gesund pflegen, konnte nicht zur Arbeit, verlor deshalb ihren Job. "Also musste mein ältester Sohn arbeiten." Auf die Frage, womit der 16-Jährige nun Geld verdiene, antwortet die Mutter nicht mehr, dreht voller Scham ihr Gesicht zur Seite und weint. Die Kriminalität in Soacha nehme zu, beklagen Vertriebene, immer mehr Banden organisierten sich. Prostitution, Schutzgelderpressung, Raub und Raubmord. Die Polizei aus Bogotá komme nur nach Soacha, wenn wieder eine Leiche gefunden würde. Und das erst am Tag darauf. Der Tote werde mitgenommen, der Fall abgeschlossen. Ermittlungen habe es hier noch nie gegeben, die Flüchtlinge seien auf sich selbst gestellt. Seit vergangenem Jahr bemühen sich erste internationale Hilfsorganisationen, dem Elend mit einzelnen Projekten zu begegnen. So finanziert etwa das "Hilfswerk Austria" den Bau einer Grundschule in Soacha. Auch die Lehrer sollen über Spendengelder aus Österreich finanziert werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 17.1.2002)