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Berlin - "In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird." Dieser Satz stammt aus dem von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann pruduzierten, 15-seitigen Protokoll über eine Konferenz in einer Villa am Wannsee in Berlin am 20. Jänner 1942. An diesem Tag trafen sich unter dem Vorsitz des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich 14 Spitzenbeamte der Ministerialbürokratie und der SS in dem SS-Gästehaus am Wannsee. Hier verhandelten sie über die organisatorische Durchführung der Entscheidung, die Juden Europas in den Osten zu deportieren und zu ermorden. Schlüsseldokument Das Dokument wurde 1947 in den Akten des deutschen Auswärtigen Amtes gefunden. Seitdem gilt es als Schlüsseldokument der Geschichte des Massenmordes an den europäischen Juden. Kein anderes Dokument zeigt die Bereitschaft der Nazis zum Völkermord in so komprimierter Form. "Ein weiterer derartiger Beleg für einen großen Gesamtplan oder zumindest für eine Absichtserklärung zur Begehung eines ungeheuren Staatsverbrechens als Ergebnis einer Dienstbesprechung von Staatssekretären und SS-Führern ist bisher nicht aufgefunden worden", erklärt Norbert Kampe, Leiter des Hauses der Wannsee-Konferenz. Heydrichs Ziel als Chef des Reichssicherheitshauptamtes war es, sich seine alleinige Führung bei antijüdischen Maßnahmen von den Ministerien bestätigen zu lassen. Mit seinem Konzept stieß er bei den Teilnehmern auf allgemeine Zustimmung und die Bereitschaft, bei der Umsetzung mitzuwirken. Zynismus Im Protokoll selbst - das von Alt- und Neonazis als Fälschung verunglimpft wird, an dessen Echtheit die seriöse Forschung jedoch nicht zweifelt - wird zwar nicht offen von Mord an den Juden gesprochen. Stattdessen ist es in einer bewusst verschleiernden, verklausulierten Sprache verfasst, die häufig unfassbar zynisch klingt. So ist die Rede davon, dass ein Teil der Juden "entsprechend behandelt" werden müsse, "da dieser eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist". Eichmann erklärte 1960 in Israel, dass das Protokoll nicht dem genauen Wortlaut der auf der Konferenz abgegebenen Erklärungen entspreche. Vielmehr habe er das Protokoll auf Drängen Heydrichs erheblich redigieren und mehrfach umschreiben müssen. Die Konferenzteilnehmer hätten sich einer weit drastischeren Sprache bedient und offen über verschiedene Techniken des Massenmordes gesprochen. "Mischlingsfrage" blieb offen Heydrich gab außerdem - so ist im Protokoll nachzulesen - einen Überblick über die bisherige Judenverfolgung. War bisher geplant, die Juden aus dem deutschen "Lebensraum" zu vertreiben, so ergaben sich mit dem Krieg gegen die Sowjetunion neue Möglichkeiten. Für die "Endlösung" kämen elf Millionen Menschen in Betracht, ist zu lesen. Zunächst sollten die Juden in "Durchgangsgettos" gebracht werden, von wo aus sie später weiter nach Osten transportiert würden. Nach Ansicht von Historikern sollten die verschleppten Menschen durch Zwangsarbeit zu Grunde gerichtet und die Überlebenden ermordet werden. Des Weiteren definiert das Protokoll, welche Menschen deportiert werden sollten. Heydrichs Ziel war es, auch "Mischlinge ersten Grades" (Menschen mit einem jüdischen und einem nicht-jüdischen - im Nazi-Jargon "arischen" - Elternteil) zu verschleppen. Dem widersprach der Staatssekretär des Reichsinnenministeriums. Er schlug stattdessen Zwangssterilisierung der "Mischlinge" vor. Da bei der heute so genannten Wannsee-Konferenz keine Einigung über die "Mischlingsfrage" erzielt werden konnte, wurde sie auf Nachfolgekonferenzen vertagt. Auf ihnen wurde ebenfalls keine Lösung gefunden. Das lag daran, dass die Krankenhäuser keine Aufnahmekapazitäten mehr hatten, da sie mit Verwundeten belegt waren. Deshalb vertagte man das "Mischlingsproblem" auf die Zeit nach dem "Endsieg". Das rettete hunderttausenden Menschen das Leben. (AP)