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Black Rebel
Motorcycle Club
B.R.M.C. (Virgin)
Rock 'n' Roll und Psychoakustik: Der Black Rebel Motorcycle Club variiert ewige Werte zwischen weißem Rauschen und stinkigen Lederjacken.
Von Christian Schachinger
Ein Gitarrenverstärker muss so laut aufgedreht sein, dass er schon Störgeräusche abgibt, bevor man das Instrument einstöpselt. Beim Einklinken des Kabels muss es dann so laut krachen, dass Angst im Publikum aufkommt. Dabei ist es hilfreich, dass erstens Gitarre und Verstärker schlecht geerdet sind und zweitens nicht nur der Lautstärkeregler, sondern auch der Halleffekt auf Anschlag gedreht ist. Richtig g'führig aber wird es erst, wenn man dann, während der stoische Schlagzeuger den Takt einzählt, noch das Verzerrer-Pedal durchdrückt: Fiiiieeeeep! Feedback mag zwar auch ein Begriff aus der Kommunikationstheorie sein. Wir betrachten ihn aber rein elektroakustisch. Feedback bedeutet Rückkopplung. Der Kreis muss sich schließen. Falls jetzt alle Musiker vom toxischen Standpunkt her gesehen noch dem Schlagzeuger folgen können, erlaubt es die sich aus 1, 2 und 3 zwanglos ergebende 4, gemeinsam - und gleichzeitig! - so richtig loszulegen: Bratz, kartätsch, kreisch! Das spielt dann in die Psychoakustik hinein. Die Hölle bricht los. Während die amerikanische Schule nun vom Sänger verlangt, "es loszulassen", also komplett auszuzucken (Iggy Pop und die Folgen), ist man in England spätestens seit 1985 (The Jesus & Mary Chain mit ihrem bis heute unerreichten Debüt Psychocandy ) immer auch einen anderen Weg gegangen. Bei aller vermittelten Aggression ist es keineswegs kontraproduktiv, wenn der Sänger unendlich gelangweilt hinter dem Mikrofonständer lümmelt, während über ihm Fluten von "White Noise" zusammenstürzen. Vielmehr erhöht das noch die Spannung. Immerhin wird so oft auch noch das Publikum aggressiv - wenn jemand so offensichtlich am Watschenbaum rüttelt. Der Black Rebel Motorcycle Club aus San Francisco vertraut zwar auf alte Errungenschaften des Lärmrock. Das bedeutet, dass Iggy Pop & The Stooges, Suicide oder Velvet Underground von amerikanischer Seite her ebenso hörbar Pate stehen wie The Jesus & Mary Chain, My Bloody Valentine oder Spacemen 3 aus dem Großbritannien der mittleren bis späten 80er-Jahre: Primitiver Rock 'n' Roll auf dem gefährlichen Grat zwischen Chaos und klebrigen Melodien, zwischen Amok und Koma, zwischen (Auto)destruktion und hymnischer Erhabenheit. Das Trio, das sich seinen Namen aus Marlon Brandos The Wild One ausgeborgt hat, vertraut also auf ewige und tausendfach variierte Muster. Es schafft es aber, den etwaigen Plagiatsvorwürfen mit Songs gegenüberzutreten, die zwar die alterprobte Form und noch ältere Inhalte wahren ( Love Burns , Red Eyes and Tears , Rifles , Salvation ...) . Den Extrakick allerdings holt man sich nicht nur über die schwarzen Lederjacken, Moped-Stinkstiefel und pampige Attitüde. Ewige Werte verdanken sich oft auch der Tatsache, dass die gegenwärtige junge Generation die Originale nicht (mehr) kennt. Macht ja nichts! "Rock 'n' Roll is killing my life" (Suicide) - "I hate Rock 'n' Roll" (The Jesus & Mary Chain) - "Whatever happened to my Rock 'n' Roll?!" (Black Rebel Motorcycle Club). Das ist die historische Achse. Dazwischen wabert das Trockeneis. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 1. 2002)