Technik
Computertechnik lässt Gedankenimpulse sichtbar werden
"Direktkommunikation" für vollständig Gelähmte möglich - Tempo vorerst 15 bis 20 Sekunden pro Buchstabe
Wien - Mit Hilfe der Technik können "Locked
in"-Patienten rein durch ihre Gedanken mit der Umwelt kommunizieren,
obwohl sie keine Muskelfaser in ihrem Körper willentlich bewegen
können. Wie Niels Birbaumer, Psychologe an der Universität Tübingen,
bei einem Vortrag in Wien ausführte, können manche
seiner "Locked in"-Patienten mit entsprechender Übung sogar
selbstständig im Internet surfen.Das Leiden
Das so genannte "Locked in"-Syndrom kann verschiedene Ursachen
haben. So verlieren Patienten, die an ALS (amyotropher Lateralsklerose, gemeinhin als die "Krankheit Stephen Hawkings" bekannt)
leiden nach und nach jede Kontrolle über ihre Muskulatur,
letztendlich müssen sie sogar beatmet werden. Die Gedankenwelt bleibt
jedoch intakt. Ähnlich verhält es sich mit Menschen, deren Stammhirn
- etwa durch einen Schlaganfall - geschädigt ist. Nach einer
Schätzung von Birbaumer haben rund 20 Prozent vermeintlicher
Koma-Patienten eine "relativ normale Informationsverarbeitung" im
Gehirn und könnten über geeignete Methoden mit ihrer Umwelt wieder
Kontakt aufnehmen.
Um mit ihren völlig gelähmten Patienten kommunizieren zu können,
leiten die Tübinger Forscher unter anderem Gehirnströme ab. Die Sache
funktioniert aber genau so mit der Messung von Magnetfeldern um das
Gehirn oder die Bestimmung der Durchblutungsintensität in
verschiedenen Hirnarealen. Ein Computer erfasst die Muster und lässt
beispielsweise auf einem Bildschirm einen Punkt erscheinen. Ändern
sich die Gehirnströme - denkt also der Patient -, so wandert der
Punkt über den Bildschirm. Nach und nach lernt der Patient seine
Gedanken so zu ordnen, dass er den Punkt in eine gewünschte Richtung
bewegen kann.
Läuft unbewusst ab
Wenn die Menschen später über den Computer kommunizieren können,
kann man sie fragen, wie sie es anstellen, dass sich der Punkt in
eine bestimmte Richtung bewegt. Doch meist können sie es nicht
erklären, ebenso wie ein gesunder Mensch nicht erklären kann wie er
es anstellt, dass sich sein Arm bewegt. "Es ist auch völlig
unterheblich, wichtig ist, dass der Mensch lernt, seine
Gehirnaktivität zu kontrollieren", sagte Birbaumer.
Der nächste Schritt ist dann, dass die Menschen lernen, Worte und
Sätze zu formulieren. Dazu laufen am Bildschirm Buchstaben ab,
erscheint der gewünschte, denkt der Patient - wie beim Verschieben
des gelben Punktes - nach einem bestimmten Muster und sagt dem
Computer gleichsam "Ja". Der Buchstabe bleibt stehen, und wird dem
Wort oder dem Satz angefügt. Diese Art der Sprache mutet einem
Gesunden unendlich mühsam an - für einen Buchstaben brauchen geübte
Patienten 15 bis 20 Sekunden - aber wenn jemand möglicherweise seit
Jahren überhaupt nicht kommunizieren konnte, so öffnet sich für
diesen gleichsam die Welt. Die Geschwindigkeit spielt eine
untergeordnete Rolle. Und ist die Sprache über den Computer einmal
erlernt, so lassen sich über die Gedanken auch Befehle ausführen, der
Patient kann beispielsweise im Internet surfen.
Lebensqualität
Birbaumer widersprach der vielfach geäußerten Meinung, dass
"Locked in"-Patienten auf jeden Fall eine schlechte Lebensqualität
haben. "Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass diese Menschen -
wir können sie ja nun fragen - nicht viel schlechter dran sind, als
Gesunde", so der Psychologe. Auf Grund seiner Gespräche mit den
vermeintlichen Koma-Patienten habe sich seine Meinung zur aktiven
Sterbehilfe völlig verändert, betonte Birbaumer, er sei von einem
Befürworter zu einem erklärten Gegner geworden. (APA)