Wien/Linz - "Zwischen 13 und 14 Jahren sind Jugendliche mit körperlichen Umstellungen besonders belastet. Aber das Schulsystem reagiert überhaupt nicht darauf", kritisiert der Linzer Erziehungswissenschafter Ferdinand Eder. Eigentlich müsste es zu diesem Zeitpunkt eine beurteilungsärmere Zeit geben, meint er. Auch die Geschlechter entwickeln sich unterschiedlich - Mädchen schneller als Buben, obwohl so getan werde, als gäbe es eine homogene Gruppe pro Jahrgang. In der Pubertät gehen sich die Geschlechter oft "sehr auf die Nerven" - deshalb wäre es denkbar, in dieser Phase zumindest teilweise getrennt zu unterrichten. Mit dieser Meinung steht Eder nicht allein da. Besonders von feministischer Seite brachte man der Koedukation zuletzt immer mehr Misstrauen entgegen. Mädchen profitieren tendenziell mehr als die Buben vom "eingeschlechtlichen" Unterricht, berichtet Barbara Schober dazu dem _Standard . Sie ist Assistentin am Wiener Institut für Psychologie und beschäftigt sich unter anderem mit Geschlechtsunterschieden im mathematisch- naturwissenschaftlichen Bereich. Doch aus ihrer Sicht löst die Trennung keine Probleme und wäre langfristig sogar ein Rückschritt. Schober plädiert vielmehr für "reflexive Koedukation". Das bedeutet unter anderem, dass Lehrende darauf achten sollten, nicht in - oft unbewusste - Rollenklischees zu verfallen. Ein Beispiel: Erfahrungsgemäß werden Buben, etwa im Physikunterricht, mehr ermuntert, praktische Experimente durchzuführen, während den Mädchen eher nur die Assistenzaufgaben zugewiesen werden. Auch Unterrichtsmaterialien könnten besser auf Mädcheninteressen abgestimmt sein. Bei ihnen finden beispielsweise "Naturphänomene" mehr Anklang als technisches "Apparatewissen", meint die Psychologin. In der Pubertät, das räumt auch Schober ein, gibt es unerwünschte Effekte durch die Koedukation. Mädchen "kokettieren" beispielsweise mit schlechten Noten. Doch "monoedukativ" erzogene Mädchen haben dafür oft weniger freundschaftlich-lockere Beziehungen zum anderen Geschlecht. Dass Buben durch die in der Schule fleißigeren Mädchen langfristig behindert werden, glaubt Schober nicht. Noch gelte eher das Gegenteil: "Jungs sind im Durchschnitt sprachlich schlechter. Doch die Pulitzer-Preise gewinnen durchwegs Männer." Die OECD-Bildungsstudie "Pisa" hat jedenfalls gezeigt, dass Mädchen mehr Lesekompetenz als ihre männlichen Klassenkollegen aufweisen. In Österreich trifft dies vor allem auf die AHS zu, ist ansonsten aber geringer als in anderen Ländern ausgeprägt. Bei der Mathematik ist es genau umgekehrt. Buben schneiden hier deutlich besser ab, wobei Österreich im Ländervergleich neben Korea und Brasilien durch die größten Geschlechtsunterschiede auffällt (siehe Graphik). In den sonstigen naturwissenschaftlichen Fächern gibt es laut Pisa-Studie keine signifikanten Unterschiede zwischen den Leistungen der Mädchen und jener der Burschen. Morgen: Das Schulsystem des OECD-Testsiegers Finnland (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 18. 01. 2002)