Deutschland
Deutsche Reformkommunisten jetzt Regierungspartner in Berlin
Rot-roter Senat komplett
Berlin - Zwölf Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer
sind die Reformkommunisten Regierungspartner in der lange geteilten
Stadt. Der Antritt der rot-roten Koalition wurde am Donnerstag von
einer Kontroverse im Abgeordnetenhaus und einem Wahl-Eklat begleitet. Sozialdemokraten und PDS wählten den SPD-Politiker Klaus Wowereit
zum Regierenden Bürgermeister und Chef des rot-roten Bündnisses. Bei
der Abstimmung erhielt der 48-Jährige 74 Ja-Stimmen. SPD und PDS
haben zusammen 77 Sitze. 66 Abgeordnete stimmten mit Nein.
Bei der Wahl der Senatoren fiel der Berliner SPD-Chef Peter
Strieder zunächst durch. Der Architekt von Rot-Rot wurde erst im
zweiten Anlauf bestätigt. Die Wahl des Finanzsenators Thilo Sarrazin
musste nach einem Betrugs-Vorwurf der CDU wiederholt werden.
In einer scharfen Kontroverse vor der Abstimmung warf die CDU der
SPD Geschichtsvergessenheit vor, weil sie ein Bündnis mit der
Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED eingehe. Ex-Kultursenator
Christoph Stölzl von der CDU sagte: "Heute sperrt die SPD dem
Kommunismus die Tür zur Macht in Deutschland wieder auf."
FDP-Fraktionschef Günter Rexrodt warf der PDS vor, in
"unmittelbarer Kontinuität der SED zu stehen" - einer Partei, die
dafür verantwortlich war, "dass Menschen drangsaliert, eingekerkert
und nicht in wenigen Fällen auf der Flucht erschossen wurden".
Die SPD verteidigte das Bündnis. Rot-Rot sei nach dem Scheitern
der Koalitionsgespräche mit Grünen und FDP die einzige Möglichkeit
gewesen. Die PDS forderte den Abschied von den Schlachtordnungen des
Kalten Krieges. Sie sei sich der Verantwortung für der Vergangenheit
bewusst und müsse jetzt den Beweis erbringen, dass der Bruch
unwiderruflich sei. Dazu gehöre aber auch der Wille zur Versöhnung.
Wegen der Vergangenheit der PDS stößt die rot-rote Koalition in
Teilen der Berliner Öffentlichkeit auf massive Kritik. In einer
Präambel zum Koalitionsvertrag wird die Schuld der DDR am Mauerbau
und der Verfolgung anders Denkender offen angesprochen.
Bis Sommer vergangenen Jahres war Berlin zehn Jahre von einer
CDU/SPD-Koalition regiert worden. Sie platzte wegen eines Spenden-
und Bankenskandals der Christdemokraten. Im Juni wurde Wowereit Chef
eines von der PDS-geduldeten rot-grünen Minderheitssenats.
Bei der vorgezogenen Regionalwahl im Oktober wurde die SPD
stärkste Partei. Rot-Grün verfehlte aber eine eigene Mehrheit. Die
CDU erlitt massive Einbrüche. Die FDP kehrte ins Parlament zurück.
Wowereit hatte zunächst eine Koalition mit Freidemokraten und
Grünen angestrebt. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte als
SPD-Parteichef zunächst klar für eine Berliner Koalition mit FDP und
Grünen plädiert. Anfang Dezember platzten die Verhandlungen.
Berlin ist mit 39,8 Milliarden Euro (548 Mrd. S) überschuldet.
Derzeit sind die Personal-Ausgaben fast so hoch wie die
Steuer-Einnahmen. Rot-Rot plant einschneidende Sparmaßnahmen. Die SPD
hatte lange vergeblich einen Kandidaten für das Finanzressort
gesucht.
Der frühere PDS-Chef Gregor Gysi wurde Wirtschaftssenator. Vor
seiner Wahl dementierte er im Parlament erneut Vorwürfe, er habe in
der DDR Spitzeldienst geleistet. "Ich habe niemals mit der
Staatssicherheit zusammengearbeitet", sagte er. Nach seiner Wahl
warfen Opfer des DDR-Regimes Anti-Gysi-Flugblätter von der Tribüne. (APA/dpa)