International
Start für das "Great Game" in Zentralasien
Antitalibankoalition zwischen Teheran und Washington zerbricht
Teheran/Washington/Wien -
Die nach dem 11. September
ohne viel Aufhebens geschlossene amerikanisch-iranische Antiterror- oder besser
Antitalibankoalition (die den
USA immerhin die Benützung
iranischen Territoriums für
Truppenbergungsmissionen
erlaubte) geht langsam den
Bach herunter. Fast täglich
sind aus Washington "besorgte" Stimmen zu hören, die darauf hinweisen, dass Teheran
in Afghanistan seine eigene
politische Agenda verfolgt
und die neue Interimsregierung zu destabilisieren versucht. Außerdem wird Iran
beschuldigt, Al-Qa'ida-Kämpfer aufgenommen zu haben.Und plötzlich ist auch wieder die potenzielle Bedrohung
durch mit russischer Hilfe gebaute iranische Langstreckenraketen ein Thema für die US-
Medien: Unter der Clinton-
Administration war ein geplanter "Iran Missile Proliferation Sanctions Act" dem
Wunsch nach guten Beziehungen zu Moskau zum Opfer
gefallen.
Teheran weist alle Beschuldigungen zurück
Teheran weist alle Beschuldigungen zurück, verweist auf
die historische Feindschaft
der Iraner gegenüber den sunnitischen, antischiitischen
Taliban und ihren arabischen
Waffenbrüdern und beklagt
"zionistischen" Einfluss in
Washington. Tatsächlich haben sich die Beziehungen
nach dem Auffliegen des offensichtlich für die Palästinenser bestimmten Waffenschmuggelschiffs "Karina A"
beträchtlich verschlechtert,
allgemeine Meinung in Israel
und den USA ist, dass die Absender in Iran sitzen.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt zerbricht der fragile
Konsens über die Terrorismusbekämpfung zwischen
Washington und Teheran.
Iran sieht in libanesischer
Hisbollah und palästinensischer Hamas keine Terror-,
sondern Widerstandsorganisationen, die für die Befreiung
ihrer von den Israelis besetzten Gebiete kämpfen (auch
wenn es im Fall der Hisbollah
nur mehr ein Zipfel Erde ist,
der nach UNO-Expertise nicht
Libanon, sondern Syrien gehört). Dass Israel keine iranischen Langstreckenraketen
auf sich gerichtet haben will
und auch nicht, dass Iran in
den Besitz von Atomwaffen
kommt, ist allzu verständlich
(weswegen dem iranischen
AKW Bushehr das gleiche
Schicksal drohen könnte wie
dem irakischen Reaktor Osirak, er wurde 1981 bei einem
israelischen Angriff zerstört).
Aber in Afghanistan geht es
um anderes, auch die Vermutung, Iran habe Angst, dass der
Nachbarstaat in Zukunft nicht
islamisch genug sein könnte,
ist zu kurz gegriffen. Iran
mischt in Westafghanistan
traditionell mit und hat dort
auch wirtschaftliche (der
Wiederaufbau!) Interessen;
auf dem Petersberg versuchte
man dem durch die Aufnahme
von Mir Wais Sadeq, des Sohnes des dem Iran zugerechneten Gouverneurs von Herat,
Ismail Khan, Rechnung zu
tragen. Offensichtlich ist jedoch Teheran trotzdem der
Meinung, dass die afghanische Interimsregierung zu US-
freundlich ist - was weiter
kein Wunder wäre, wenn sich
das Gerücht bestätigen würde,
dass Regierungschef Hamid
Karsai früher einmal in engem
Kontakt zur US-amerikanischen Ölfirma Unocal gestanden ist, die noch zu Taliban-
Zeiten eine Pipeline von
Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan bauen wollte, unter Umgehung Irans.
Beunruhigen müssen Teheran auch in Moskau aufgetauchte Meldungen, dass die
usbekische Regierung den
USA den Militärstützpunkt
Khanabad für mindestens 25
Jahre zur Verfügung stellen
will, auch in Kirgistan sind die
Amerikaner offensichtlich
unbefristet willkommen. Das
neue "Great Game" in Zentralasien hat soeben begonnen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 19.1./20.1.2002)