Europa
Frankreich: Skandalreigen zur heißen Wahlkampfphase
Dritte Schlappe Jospins vor dem Verfassungsgericht - "Enthüllung" über Chirac
Der Premier sei "gelassen", berichten Nahestehende aus
dem Regierungssitz in Paris,
dem Hôtel Matignon. Doch
innerlich dürfte die Kämpfernatur Jospin schäumen ob der
juristischen wie auch politischen Ohrfeige, die ihm das
Verfassungsgericht am Donnerstagabend verpasst hat: Es
erklärte den zentralen Punkt
des Korsika-Statutes für verfassungswidrig. Dieser besteht aus einer beschränkten Gesetzgebungskompetenz, die Jospin dem
korsischen Territorialparlament einräumen wollte. Er
verstößt laut Verfassungsrat
aber gegen das Einheitsgebot
der Republik. Die korsischen
Autonomisten reagieren verbittert, während die Rechtsopposition frohlockt. Die Regierung hob in einem trockenen Communiqué die genehmigten Bestimmungen des
Statuts hervor, insbesondere
die Milliardenhilfe des französischen Staates für die korsische Inselwirtschaft.
Nachdem die Autorität des
Zentralstaates in Korsika
durch die kürzliche Verurteilung des Inselpräfekten
Bonnet ohnehin angekratzt
ist, bleibt aber nicht mehr viel
von diesem wichtigen Projekt
Jospins. Damit nicht genug:
Seit Dezember hat der Verfassungsrat bereits zwei Regierungsvorhaben vereitelt: Die
von Jospin angepeilte Finanzierung der 35-Stunden-Woche mit Mitteln der Sozialversicherung und ein Gesetz gegen Massenkündigungen.
Einzelne Sozialisten behaupten, der mehrheitlich
von der Rechten gebildete
neunköpfige Verfassungsrat
sei offenbar Chirac zu Diensten. Jospin hat sich das korsische "Njet" aber eher selber
zuzuschreiben: Er schlug die
Warnungen Chiracs und auch
die seiner eigenen Minister
vor einem institutionellen
Scheitern in den Wind.
Auch sonst mehren sich die
Anzeichen, dass der Wahlkampf in seine heiße Phase
tritt. L'Express berichtet, die
Staatsanwaltschaft überprüfe
den Kauf eines Ferienhäuschens auf der westfranzösischen Insel Ré durch das Ehepaar Jospin. Dabei sei laut einem Verein nicht alles mit
rechten Dingen zugegangen;
die bezahlten 300.000 Euro
(4,13 Mio. S) - lägen mehr als
die Hälfte unter dem Marktpreis. Jospin bestritt dies sofort und legte alle seine Geldmittel offen.
Chirac sieht sich seinerseits
mit einer "Enthüllung" konfrontiert: Er habe im Wahlkampf 1988 den Front-National-Chef Jean-Marie Le Pen
zwecks gegenseitiger Absprache getroffen, schreibt der
konservative Journalist Eric
Zemmour in einem neuen
Buch. Wenn es stimmt, wäre
dies ein harter Schlag für den
Staatschef, der sich bisher
stets klar von der extremen
Rechten abgegrenzt hatte. Das
Elysée dementierte umgehend. Le Pen meinte in seiner
unvergleichlichen Art, Chirac
sei "also nicht nur ein Dieb,
sondern auch ein Lügner". (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 19./20.1.2002)