Es sei ein Zeichen der urbanen Dekadenz, meinte B., dass es den Ort überhaupt gibt. Mitten in der Stadt. Bei den Grundstückpreisen. Bei dem Druck Boden in Citynähe zu verbauen oder sonst wie zu erschließen. Oder es den Touristen zum Fraß vorzuwerfen. Dann war sogar B. still. Das heißt was. Weil B. immer was einfällt. Zur Welt im Allgemeinen und zu Wien im Besonderen. Denn in Wien, sind B. (und ich) ganz sicher, kennen wir uns aus. Da kann uns keiner was zeigen oder sagen. Aber das war, bevor wir die Tür aufgemacht hatten. Die Tür kannten wir beide eigentlich lange. Seit Jahren. Was heißt: Seit Jahrzehnten. Schließlich sind B. und ich ums Eck in die Schule gegangen. Jeder an eine andere zwar, aber die waren jeweils nur ein paar Ecken entfernt. Wir kannten den Schwarzenbergplatz. Und auch die Tankstelle am Beginn des Rennweges. Zwischen dem Zimmer des Tankwartes und dem Fotostudio war die Tür. Grün. So groß, wie die Zimmertür in einer Gemeindebauwohnung. Immer schon. Wohin sollte die schon führen? Ein Abstellraum, das Klo des Tankwartes – wir haben nie nachgeschaut. Bis wir vor kurzem zu einem Essen eingeladen wurden. "Rennweg 2" stand auf der Einladung. Die schmiedeeisenbewehrte Auffahrt zum Palais Schwarzenberg war (wie immer) zu. Aber: Dorthin würde es sowieso nicht gehen. Blieb die grüne Tür. Ein Zettel: "Hier hinein." Hinter der Tür liegt eine Treppe. Schmal. Eine Windung. Die Heimatfilmkulisse Oben fanden wir uns am hintersten Winkel des Palais-Parkplatzes wieder: Der aufgemotzte Vorzeigebarock für die Palaisbesucher lässt sich hier gerade noch erahnen – kaum einer der Gäste kommt also je hierher. Auf dem Boden standen Kerzen. Ein Torbogen. Dahinter liegt die Gasse: Kopfsteingepflastert. Einstöckige, geduckte Häusern unter steilen Giebeldächern. Eine eiserne Treppe führt – außen – zum Dachboden. Und von Fenstern und Türen blättert der grüne Lack etwas ab. Stille. Eine Katze miaut. Landidylle. Der Schwarzenbergplatz beginnt zehn Meter hinter uns. "Willkommen im Heimatfilm", sagte B., "das ist die Kulisse für einen Kostümfilm. Biedermeier am Land." Dabei ist es hier nicht einmal kitschig. Nur von Zeit und Welt vergessen. Schon alleine, weil – wie B. anmerkte – es nach unserem subjektiven Wienempfinden zwischen Rennweg, Belvedere und dem Palais keinen Platz für eine weitere Gasse gibt. "Die hat da wer vergessen – und wir sind ein paar hundert Jahre später die ersten, die das bemerken." Das Fahrrad an der Wand und der Nostalgiejeep in der offenen Garage? Sinnestäuschungen, sagt B.: "Da steht ein Leiterwagen und wir hören Pferde in ihren Boxen." Ein paar Stunden später hatten wir uns schon daran gewöhnt. Künstlerateliers, eine Restaurationswerkstatt. Nichts Besonderes: B. und ich sind schließlich Wienprofis und uns kann keiner was über diese Stadt erzählen. Bloß dass B. mir jetzt ständig E-Mails mit Adressen von Türen, die wir nie aufgemacht haben, schickt, gibt mir doch zu denken. NACHLESE --> Lebensschule Supermarkt --> Der Gorilla und der Putztrupp --> Der Taubenverhafter --> Nachweihnachts - Krawattenblues --> Freude mit Pflanzen --> Den Euro lieben lernen --> In der Hundefalle --> Weil: Hauszusteller sind ja nicht deppert --> Weil nicht sein kann, was nicht sein darf --> Nochmal Augustin --> Der Euro ist deppert --> Sitz- und andere Kulturleiden --> Zu viel gescheit --> Gasmasken --> Vom Frühstück --> “Der hygienische Handschuh” --> “Tanzverbot” --> “Tolle Bilder” --> Die Erbin der Torte --> Gasometer --> Stirb, Sofie --> Von Svihalek träumen --> A.'s erste Bürgerinitiative --> Nepals schlafende Hunde --> Weitere Stadtgeschichten...