Den Spitzen der Industriellenvereinigung steigen die Grausbirnen auf. Sie haben diese Koalition nicht nur herbeiargumentiert, sondern teilweise auch herbeifinanziert. Und jetzt das: ein Fiasko in der Europapolitik, das selbst der Gralshüter von Schwarz-Blau, der Presse -Chefredakteur in Betrifft verkünden musste.

In deutschen Zeitungen werden Befürchtungen laut, der Schattenchef der FPÖ könnte aufrollen, was selbst der CDU/CSU Kanzlerkandidat nach der tschechisch-deutschen Deklaration der Regierungschefs Kohl und Klaus für erledigt hält: die Frage der Benes-Dekrete. Lorenz Fritz, Generalsekretär auf dem Schwarzenbergplatz und wortgewandter Verfechter von Schwarz-Blau, hat nun zum ersten Mal die "Regierungsfähigkeit" der Freiheitlichen angezweifelt und diese gewarnt, durch "außenpolitisches Nachlegen" die Stimmung gegen Tschechien weiter anzuheizen.

Wie Jörg Haider und Hans Dichand nach Wolfgang Schüssels Temelín-Erfolg das Volksbegehren wieder hochgezogen haben, ist ein popu- listisches Lehrstück. Dass es nicht zum größten Aufrühr- stück der Zweiten Republik wurde, mag die Initiatoren enttäuschen. Für den Kärntner Volkshelden reicht das Ergebnis. Denn die Hoffnungen der ÖVP, man werde ihn biegen, haben sich wieder einmal nicht erfüllt. Jörg Haider lässt sich nicht zähmen. Er bleibt ein Raubtier und gehorcht daher viel eher den Gesetzen des Dschungels als sein tschechischer Futterkonkurrent Milos Zeman.

Trotzdem erhebt sich für die Freiheitlichen die Frage: Was nun? Im Süden erfahren wir die Antwort. Sie werden das Thema Temelín weiterkochen. Sie werden die Vetodrohungen verstärken und versuchen, die ÖVP damit zu schwächen und auszuhöhlen. Um im Jahr 2003, rechtzeitig vor der "Nacht der langen Messer" in Brüssel, über vorgezogene Wahlen die schwarzen Begehrer herüberzuziehen und die FPÖ über die 30-Prozent-Marke zu hieven. Aber selbst unter Austrobarden und beamteten Naturschützern, die dem uneigennützigen Ruf der Krone (und nur dem) gefolgt sind, wird sich irgendwann der Gedanke entwickeln, ob die FPÖ auch geistig noch der Regierung angehört oder ob sie nicht als Phantom der Koalition agiert. Und vom Hoffnungsträger zum Schreckgespenst des bürgerlichen Lagers mutiert.

Denn nach der Durchsetzung des Kindergeldes wird sachpolitisch ohnehin nur ein einziges Gericht auf dem Klagenfurter Lindwurm-Menü stehen: die Steuerreform. Will heißen: das Wahlzuckerl für den Mittelstand, nachdem man ihn durch die höchste Steuerquote der Zweiten Republik bereits jahrelang geschröpft hat. Wenn die Gewerbetreibenden und Freiberufler schwankender Couleur ins Südlicht blicken, werden sie die Steuerbürden nicht mehr spüren und die neuen Verheißungen preisen.

Ob das FPÖ-Volksbegehren das Schicksal der bisherigen Topbegehren (Anti-Konferenzzentrum 1982, Gentechnik 1997, Anti-Fristenlösung 1975) teilt oder nicht, wird seinen Initiatoren auch ziemlich einerlei sein.

Hans Dichand hat seine Leserschaft emotionalisiert und sein Massenblatt in eine "redaktionelle Mobilisierungsplattform" (der Meinungsforscher Fritz Plasser im STANDARD) verwandelt. Jörg Haider ist gelungen, was er noch vor fast jeder großen Wahl getan hat: sich von den Steuerzahlern eine teure Trainingswoche finanzieren zu lassen.

Um unter dem Titel "Atomkraft, nein danke" eine antieuropäische Kampagne zu beginnen, die zweierlei bedeutet: einen Bruch des FPÖ-Versprechens, hinfort für die europäische Einigung einzutreten; eine Schwächung der Wirtschaftskraft, weil es Österreich auf den östlichen Märkten schwerer haben wird. Und Temelín wird trotzdem in Betrieb gehen.

Am möglichen Verlust von Arbeitsplätzen werden aber wieder die anderen schuld sein. Denn die populistische Karawane zieht weiter. Zu neuen Themen und Stimmen.

(DerStandard,Print-Ausgabe,22.1.2002)