Ein "Skandal" ist die Enron-Pleite auf jeden Fall. Rückwirkend betrachtet schillert das Geschäftsgebaren des bankrott gegangenen US-Energieriesen in allen Farben der giftigsten New-Economy-Sumpfblüten: Da gab es etwa eine Buchhaltung, gegen die eine Müllhalde aufgeräumt wirkt, oder ein Management, das sich ungeniert durch insiderische Aktienverkäufe bereicherte. Gleichzeitig ließ es die Belegschaft, die ihre Altersvorsorge auf Enron-Aktien aufbaute, kaltschnäuzig in ihr Unglück ziehen, ja sie wurde noch zum Kauf von Aktien ermuntert, als längst feststand, dass Enron dem Tode geweiht war. Bis hierher bewegt sich der Skandal klar auf wirtschaftlichem Gebiet. Ob er darüber hinaus in das Reich der Politik reicht und dort ordentlichen Flurschaden anrichtet, das ist die Frage, die jetzt die amerikanische Öffentlichkeit beschäftigt. Untersuchungsausschüsse und Medienrecherchen haben schon klar gelegt, dass Enron ein überaus großzügiger Wahlspender war, und zwar nicht nur für die Republikaner, denen Firmenchef Kenneth Lay über die texanische Achse mit Präsident Bush freundschaftlich verbunden war. Auch die Demokraten haben ordentlich mitgecasht. Das ist per se noch kein Skandal oder wenigstens nicht skandalöser als eine Gesetzgebung, die potenziellen Wahlkampfspendern eine Fülle von Möglichkeiten bietet, sich der Politik angenehm in Erinnerung zu bringen. Dass sich die Crew im Weißen Haus besonders kompromittiert hat, ist bis zum Beweis des Gegenteils nicht anzunehmen, auch wenn sie mit ihrer tollpatschigen Kommunikationspolitik den Verdacht nährt, sie könnte noch Leichen im Keller haben. Eines ist freilich klar: Mit der Enron-Pleite ist die Präsidentschaft Bush nach der Terrorbekämpfung auf ein zweites Leitmotiv gestoßen, das ihr noch lange in den Ohren klingen wird. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 22.1.2002)