Wien - "Überall auf der Welt sieht man im Namen der Antiterrorismuskampagne Demokratien Hand in Hand mit autoritären Regimen", sagt Aaron Rhodes, Generalsekretär der Internationalen Helsinki Föderation für Menschenrechte (IHF), im Gespräch mit dem Standard. Aber gerade der wachsende Autoritarismus wird wieder Terrorismus hervorbringen. "Die Behandlung der Bürger in Zentralasien ist ein Türöffner für Extremisten: Diese Regierung ist gegen dich und gegen den Islam, wir jedoch haben dir etwas anderes anzubieten." Die Menschen hätten völlig das Vertrauen zu ihren Regierungen verloren, sagt Rhodes, und führt ein Beispiel für die "Entfremdung" an: Bei einer IHF-Analyse der vor ein paar Jahren häufigen militärischen Einfälle von Islamistenkämpfern (wahrscheinlich aus Usbekistan) im Süden Kirgistans kam heraus, dass die lokale Bevölkerung den fremden Militanten mehr Vertrauen entgegenbrachte als den eigenen kirgisischen Behörden. Eine Veränderung nach dem 11. September sieht Rhodes nicht so sehr in den fünf zentralasiatischen Ländern Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kirgistan und Kasachstan selbst - "dort war die Menschenrechtssituation vorher schrecklich und ist es jetzt". Das Gespenst des extremistischen Islam werde an die Wand gemalt, weil sich die Regierungen vor dem moderaten Islam fürchten - und das stärke wiederum die Extremisten. Neu ist eine noch größere Zurückhaltung des Westens bei Kritik. "Am eklatantesten ist das aber bei Russland und Tschetschenien. Schrecklich zu sagen, aber der 11. September war das Beste, was den Russen passieren konnte als Cover für ihre Staatsterrorismuskampagne." "Wir brauchen Zeit" Bei den westlichen Regierungen ortet Rhodes zu wenig Selbstvertrauen, vielleicht Befürchtungen, dass sie als verständnislos gelten könnten - eine Linie, auf die die betreffenden Regime gerne eingingen: "Ja, wir haben Probleme, wir brauchen eben Zeit, wir sind erst seit zehn Jahren frei." Dabei, so Rhodes, "hat sich die Situation dramatisch verschlechtert, unter den Sowjets war es besser, besonders was die Folter betrifft". Gerne verweisen die autoritären Regime auch auf Unterschiede in Kultur und "Mentalität". Wenn der Westen diese Entschuldigungen akzeptiert, dann empfinden die Opfer das als "rassistisch": Für sie würden nicht dieselben Standards gelten, weil sie "anders, asiatisch, barbarisch, primitiv" sind. "Ich sage immer, fragt die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, ob sie eine andere Mentalität haben. Opfer wissen ganz genau, dass es eine Universalität von Menschenrechten gibt." Nicht der Westen sollte um der Partnerschaft willen Konzessionen machen, sondern sie im Gegenteil verlangen: "Wenn ihr mitmachen wollt beim Antiterrorkrieg, dann bitte - aber wir wollen keine Partner, die 8000 Mitglieder gemäßigter islamischer Gruppen im Gefängnis sitzen haben und Leute zu Tode foltern." Gegenfrage: Und wenn dann Usbekistan sagt, dann bekommt ihr eben unsere Militärbasis nicht? "Wenn man sich für Prinzipien einsetzt, lohnt es sich auf lange Sicht. Wenn Sie gegen Terrorismus sind, müssen Sie sich auch gegen Staatsterrorismus einsetzen. Terrorismus hat viele Formen. Wenn Regierungen Zivilisten terrorisieren, so ist das Terrorismus." Völlig allein gelassen Außer Druck auf die Regime ist vor allem die (auch finanzielle) Hilfe für die Gruppen wichtig, die für die Zivilgesellschaft in diesen Ländern arbeiten. Momentan versagt die Gebergemeinschaft auf allen Linien. "Jeder will auf den Antiterrorismus-Zug aufspringen, aber niemand hilft den demokratischen Kräften, die sich völlig allein gelassen fühlen", sagt Rhodes. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 23.1.2002)