Inland
OGH gegen rückwirkende Aufhebung der Erwerbs- unfähigkeitspension
Widerspricht EU-Recht - Sallmutter sieht "Ohrfeige" für Regierung
Wien - Die mit 1. Juli 2000 rückwirkend erfolgte Abschaffung
der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit
widerspricht dem EU-Recht. Das hat der Oberste Gerichtshof (OGH) nun
entschieden. Rund 3.000 Personen könnten von dem Urteil betroffen
sei. Die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit
war mit 1. Juli 1993 für Männer und Frauen ab dem 55. Lebensjahr
eingeführt worden. 1996 wurde das Anfallsalter für Männer aber auf 57
Jahre hinaufgesetzt, das der Frauen blieb gleich. Der EuGH hat dann
am 23. Mai 2000 entschieden, dass dieses unterschiedliche
Anfallsalter dem europäischen Recht widerspricht, weil es der
schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von
Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit zuwider laufe.
Nachdem die österreichische Regierung die Absicht bekundete, diese
Pensionsreform abzuschaffen, kam es unmittelbar nach dem
EuGH-Erkenntnis zu einer Flut an Neuanträgen. Der Gesetzgeber
schaffte diese Pensionsreform dann rückwirkend mit 1. Juli 2000 ab,
wobei auch die nach dem 22. Mai beantragten Pensionen ausgeschlossen
wurden.
Der OGH hat nun einem Kläger, der seinen Antrag am 2. Juni 2000
gestellt hat und zu diesem Zeitpunkt das 55. Lebensjahr vollendet
hatte, Recht gegeben. Das Höchstgericht entschied, dass die
rückwirkend vorgenommene Aufhebung "mit dem Gemeinschaftsrecht nicht
im Einklang steht, somit unbeachtlich ist und daher ein Zuspruch der
beantragten Leistung an den Kläger auch zum Stichtag 1.7.2000 bei
Vorliegen der bisher dafür erforderlichen allgemeinen und besonderen
Voraussetzungen noch in Betracht kommt".
Verstoß gegen EU-Recht
Es sei davon auszugehen, dass der aus der Geltung des
Gemeinschaftsrechts entstandene Anspruch, "die vorzeitige
Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zum 1.7.2000 bereits
nach Vollendung des 55. Lebensjahres in Anspruch nehmen zu können,
nicht wirksam rückwirkend entzogen werden konnte und dass dem Kläger
durch diese Vorgangsweise des innerstaatlichen Gesetzgebers überdies
die Ausübung der ihm von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten
Rechte praktisch unmöglich gemacht wurde", heißt es in dem
OGH-Urteil.
Wie der Anwalt des Klägers erläuterte, habe der OGH bereits im
Sommer 2001 entschieden, dass die Ablehnung von 5.388 Anträgen, die
zwischen dem 24.5.2000 und 1.6.2000 eingebracht wurden, gegen
EU-Recht verstoße. Die jetzige Entscheidung beziehe sich auf Anträge
zwischen 2.6. und 30.6.2000. Davon betroffen seien rund 3.000
Personen. Ein Großteil dieser Personen müsse die vorzeitige
Alterspension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit nun doch erhalten,
sofern sie den Instanzenzug ausgeschöpft haben, erläuterte der
Anwalt.
Sallmutter sieht "Ohrfeige" für Regierung
Als "Ohrfeige für die Bundesregierung" hat am
Donnerstag der Vorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten,
Hans Sallmutter, das OGH-Urteil zur rückwirkenden Aufhebung der
Erwerbsunfähigkeitspension bezeichnet. Überfallsartige oder gar
rückwirkende Änderungen des Pensionsrechtes widersprächen dem
Vertrauensgrundsatz und schädigten das gesamte System der
Alterssicherung. Vertrauen sei das wichtigste Kapital eines
öffentlichen, umlagefinanzierten Pensionssystems, sagte Sallmutter in
einer Aussendung.
Das OGH-Urteil ist nach Ansicht Sallmutters "symptomatisch für die
gesamte Sozialpolitik der blauschwarzen Bundesregierung und die
Rechnung für überhastet und ohne ausreichende Begutachtung
beschlossene Gesetze". Die "überfallsartigen Regierungsmaßnahmen" im
Pensionsbereich seien außerdem eine "reine Geldbeschaffungsaktion zur
Erreichung des Nulldefizits" gewesen und hätten "nur geringe
langfristige Struktureffekte gebracht". (APA)