Asien & Pazifik
Tauwetter zwischen Peking und Taiwan
Verfeindete Bruderstaaten wollen politischen Stillstand überwinden
Die verfeindeten Bruderstaaten China und Taiwan wollen
den politischen Stillstand in
ihrem Verhältnis überwinden.
Mit ungewöhnlichen Schlagzeilen berichtete Chinas Presse über das Angebot Pekings,
den 1998 abgebrochenen
Dialog wieder aufzunehmen:
"China meint es aufrichtig,
wenn es erneut Gespräche
zwischen beiden Seiten vorschlägt", titelte etwa die Huaxia Shibao (China Times). Auch aus Taiwan kam Zustimmung. Der Generalsekretär der Regierungspartei DPP,
Wu Nai-jen, sagte: "Wir begrüßen die Änderungen in der
Haltung der Kommunistischen Partei zur Taiwanfrage,
wenn sie das Verständnis unter uns fördern kann. Es ist
uns gleich, welche Gründe sie
dazu bewegen." Taiwans Börse reagierte prompt. Sie legte um 2,56 Prozentpunkte zu.
Zum Auslöser für das politische Tauwetter wurde eine
um neue Formulierungen bemühte Rede des im Pekinger
Politbüro für die Taiwan-Politik zuständigen Vizepremier
Qian Qichen. Qian, der
auf Drohungen weitgehend
verzichtete, sprach zum erstenmal die von Peking bislang
ignorierten Parteimitglieder
der DPP an, der Regierungspartei des Präsidenten Chen
Shui-bian, in deren Parteistatut die Forderung nach Unabhängigkeit steht. Die Mehrheit
von ihnen seien Patrioten, befand Qian, die keine Spaltung
Chinas wollten.
Qians zweite Botschaft kam
ohne jedes Wenn und Aber
aus. Peking sei willens, seine
Wirtschaftsbeziehungen zu
Taiwan von keinen Vorbedingungen mehr abhängig zu machen. Kein Wunder: Die gegenseitige Abhängigkeit
wächst. Zu Ende 2001 war
Taiwan mit mehr als 50.000
Unternehmensbeteiligungen
in China zum zweitwichtigsten Investor aufgerückt, während das Festland zum zweitwichtigsten Handelspartner
für Taiwan wurde.
Vizepremier Qian verhehlte
nicht, dass die Wiedervereinigung oberste Maxime der Pekinger Politik bleibt und warnte, dass jeder Versuch zur Abspaltung Taiwans die Kriegsgefahr provoziere. Er machte aber deutlich, dass sich Peking bemüht, Taiwan zu überzeugen, zu der 1992 einst
mündlich zwischen den Unterhändlern beider Seiten vereinbarten prinzipiellen Verständigung über die Einheit
Chinas zurückzufinden.
Chinas Angebot kommt
kurz vor dem Gipfelbesuch
des US-Präsidenten George W.
Bush in Peking und ist daher
auch an die Adresse Washingtons gerichtet, dass die Annäherung begrüßte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 26./27.1.2002)