Der Kärntner Johann Kresnik nahm mit der Künstlerbiografie "Picasso" seinen nicht ganz freiwilligen Abschied von Frank Castorfs Berliner Volksbühne: Wiederum ein Fest für historische Materialisten und ähnlich Junggebliebene - mit deutlichen Ermüdungszeichen.

STANDARD-Mitarbeiter Christian von Kageneck

Berlin - Am Ende seines achtjährigen Arbeitens an der Volksbühne brandete nochmals herzlicher Beifall auf: Im weißen Westernhemd zeigte sich Johann Kresnik stolz auf sich und seine Truppe, vor der er sich tief verneigte.

Zum Abschied gab Kresnik Picasso. Im Programmheft sieht er Parallelen: "Ein Bild ist immer die Summe seiner Zerstörungen", wird das Idol zitiert. Brav und reichlich einfallslos dann der eineinhalbstündige Abend. Dabei ist es so einfach: Jede seiner fünf Frauen habe einen neuen Stil ausgelöst, lautet das Urteil der Fachwelt. Doch das war Kresnik nicht genug. Nach altem Schema F fasste er knapp zwanzig mediokre Punkte aus Picassos holprigem Prosawerk zusammen, um solcherart seiner Choreographie auf die Sprünge zu helfen.

Wir sehen Picasso im Kampf mit seinen Staffeleien wie Don Quixote herumirren. Wir sehen Picasso am Strand der Côte d'Azur, einen riesigen Sonnenschirm hinter Fran¸coise Gilot hertragend. Dieses zweifellos hübsche Foto wurde mehrmals vertanzt, andere Fotos im Ringelhemd, in der Badewanne oder am Thonetstuhl desgleichen. Picasso hechelt die Frauen durch, erniedrigt sie, schlägt ihnen auf die Schenkel, dass es klatscht. Dann ist wieder Kontrast angesagt mit viel Schaum in der Wellness-Wanne.

Die Frauen reiben sich mit den Bildern den Po ab. Der Meister stiftet den Po als Werk: Gesäßkunst nach Art des ewig pubertierenden Johann aus St. Margarethen.

Beim spanischen Bürgerkrieg dreht sich die Bühne von Carlos Rios um ganze 180 Grad, eine Kinder-Festung taucht auf, oben ein Soldat mit einer Friedenstaube. Eindrückliches kommt auch noch vor: Frauen, die sich aus dem Boden schälen und eine Topographie des Eros zeichnen. Völlig verunglückt eine gruselige Kopfgeburt mit blutigen Pferdeköpfen, surreale Metaphern, die eine völlig falsche Fährte auslegen. Am Schluss brennt die zum Dreieck geformte Staffelei, dahinter Warhol, Beuys und Picasso.

Bestürzung bei der westlichen Kritik. Doch die Ossis lieben Kresnik, den aufrechten Berserker, ohne Ende. Für Kresnik wurde es allmählich Zeit zum Abschied, er hatte sich in den acht Jahren Volksbühne verbraucht. Vieles wiederholte sich, war gestanzte und nicht getanzte Masse.

Das muss auch Frank Castorf erkannt haben, als er ihm den Laufpass gab. Das Zusammenspiel konnte nicht gut gehen. Castorf ist dabei, den Sozialismus langsam, ironisch, produktiv zu verabschieden, während der gänzlich humorlose Kresnik vom roten Traum nicht lassen kann. Von der Vielzahl seiner Aufführungen wird man Frida Kahlo oder das futuristische Im Garten der Lüste in angenehmer Erinnerung behalten. Die Ironie der Geschichte besagt, dass der treue Paladin in dem Moment gehen musste, als die Berliner rot-rote Koalition das Zepter übernahm.

Kresnik wird sich zu trösten wissen: Am 26. Juni hat seine Inszenierung von Olivier Messiaens bestrickender Weiheoper Saint Fran¸cois d'Assis in der Deutschen Oper Berlin Premiere. Für die Ausstattung sorgt niemand Geringerer als Architekt Daniel Libeskind, "Vater" des Jüdischen Museums in Berlin.

(DER STANDARD, Print, Sa./So., 26.01.2002)