Deutschland
Schily bot Rücktritt an
Kanzler Schröder lehnte ab - Opposition sieht Innenminister wegen V-Leuten vor dem Aus
Berlin - Der deutsche Innenminister Otto Schily
(SPD) ist wegen der Affäre um V-Leute des Verfassungsschutzes bei der
NPD nach Auffassung der Opposition kaum noch zu halten. CDU-Chefin
Angela Merkel warf ihm vor, sein Ministerium nicht im Griff zu haben.
Die FDP forderte den Bundestag auf, sich aus Sorge um das eigene
Ansehen aus dem Verfahren zurückzuziehen. Nach einem unbestätigten
Bericht der "Bild am Sonntag" soll Schily Bundeskanzler Gerhard
Schröder (SPD) bereits seinen Rücktritt angeboten haben, was dieser
aber abgelehnt habe. Zuvor war ein zweiter V-Mann und NPD-Funktionär
enttarnt worden, der in den NPD-Verbotsanträgen für das
Bundesverfassungsgericht (BVG) zitiert wird. Hartnäckig wurde über
weitere V-Leute spekuliert. Der Name des zweiten V-Mannes war nach einer vertraulichen Sitzung
des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestages am Freitag bekannt
geworden. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen handelt es sich um den
NPD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Udo Holtmann. In den
NPD-Verbotsanträgen von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat
werden Äußerungen Holtmanns als Beleg für die
Verfassungsfeindlichkeit der NPD angeführt. So soll er
Andersdenkenden mit der Todesstrafe gedroht haben.
Bereits am Dienstag hatte das BVG alle Termine für die mündliche
Verhandlung abgesetzt, nachdem herausgekommen war, dass einer der
geladenen Zeugen, der ehemalige NPD-Vize in Nordrhein-Westfalen,
Wolfgang Frenz, bis 1995 auf der Lohnliste des Landesamtes für
Verfassungsschutz gestanden war. Schily hatte eklatante Versäumnisse
seiner Mitarbeiter eingeräumt, personelle Konsequenzen für diese oder
sich selbst aber abgelehnt. Wegen der V-Mann-Affäre ist derzeit
völlig offen, ob das NPD-Verbotsverfahren überhaupt noch stattfinden
kann.
FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt erklärte, der
NPD-Verbotsantrag sei bereits jetzt politisch gescheitert.
"Verantwortlich dafür ist Innenminister Otto Schily." Er habe das
Verfahren durchgepeitscht und alle Warnungen in den Wind geschlagen:
"Wie soll denn ein Verfahren durchgezogen werden, bei dem nicht mehr
klar unterscheidbar ist, ob staatsfeindliche Äußerungen originär von
der NPD oder vom Verfassungsschutz selbst stammen?" Die FDP-Fraktion
will den Bundestag über einen sofortigen Ausstieg aus dem Verfahren
abstimmen lassen.
"Lass gut sein, Otto"
Merkel kritisierte, Schily rücke die Informationen nur
scheibchenweise heraus. Der Schaden gegenüber dem BVG sei sehr
bedauerlich. Eine konkrete Rücktrittsforderung wurde in der
Opposition aber noch nicht laut. Unions-Fraktionsvize Wolfgang
Bosbach sagte Reuters, zunächst solle die nächste Sitzung des
Innenausschusses des Bundestages am Mittwoch abgewartet werden. Nach
einem Bericht der "Bild am Sonntag" war Schily bereits zwei Mal zum
Vier-Augen-Gespräch beim Kanzler, dem er erklärt habe, er sei bereit,
die politische Verantwortung für die Fehler in seinem Ressort zu
übernehmen. Schröder habe jedoch geantwortet: "Lass gut sein, Otto,
da haben andere Mist gebaut."
Bosbach sagte, er habe "zuverlässige Informationen", dass
mindestens noch drei weitere V-Leute in den Verbotsanträgen als Beleg
für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD angeführt würden. Konkret
nannte er die ehemaligen NPD-Funktionäre Thorsten Crämer und Nico
Wedding. Beide waren wegen eines Überfalls auf das KZ-Mahnmal in
Wuppertal im Juli 2000 verurteilt worden. Der "Kölner Staat-Anzeiger"
berichtete unter Berufung auf Quellen im Bundesamt für
Verfassungsschutz sogar von bis zu sieben weiteren V-Leuten. In der
Union hieß es außerdem, es gebe Hinweise, dass außer Frenz mindestens
noch ein weiterer vom BVG geladener Zeuge V-Mann gewesen sei.
Ähnliche Stimmen kamen auch aus der FDP.
Ein NPD-Sprecher sagte Reuters, es gebe in der Partei zwar
Vermutungen über weitere V-Leute, aber keine konkreten Beweise. Die
Verteidigungsstrategie der NPD vor dem BVG zielt unter anderem darauf
ab, die V-Leute für Rechtsextremismus in der Partei verantwortlich zu
machen. Bosbach sagte, es sei zwar grundsätzlich unproblematisch,
dass sich die Anträge auch auf V-Leute stützten. Diese dürften aber
keinen politischen Einfluss haben, da sie sonst als "Agents
provocateurs" gelten könnten.
Schily drohte dem Parlamentarischen Kontrollgremium des
Bundestages wegen der an die Öffentlichkeit weiter gegebenen
Enttarnung Holtmanns mit einem Boykott: "Wenn das nicht aufhört,
werde ich dafür sorgen, dass wir nicht mehr in dieses Kontrollgremium
gehen." Geheimnisverrat sei eine Straftat und kein Bagatelldelikt.
Die Versäumnisse seines Ministeriums bezeichnete Schily dagegen als
"eine Kleinigkeit". Er lasse sich nicht davon abbringen, das
NPD-Verfahren zu Ende zu bringen.
Nicht der Verfassungsschutz sei der Gegner, sondern eine
"extremistische, antidemokratische, antisemitische Partei", sagte
Schily. Der Einsatz von V-Leuten sei richtig. Gefahr bestehe nur,
wenn ein Informant Dinge inszeniere, die die Ereignisse wesentlich
beeinflussten und dann von den Behörden angeklagt würden: "Darauf
muss man achten, das tun wir." (APA/Reuters)