Während sich seine Regierungspartei in Wien Stillstand verordnet hat und gegenüber dem unbotmäßigen Partner FPÖ "keinen Millimeter Veränderung" in der Frage der EU-Erweiterung als Losung ausgibt, tut der Kanzler eine Reise. Die Woche nach der bisher schwersten Koalitionskrise hat Wolfgang Schüssel am Montag mit einem Arbeitsbesuch in Moskau begonnen. "Es wird ihm wohl gut tun, dass er aus dem Kas in Wien heraus ist", sagt einer der 70 Unternehmensvertreter, die den Kanzler bei dem zweitägigen Besuch begleiten.

Es ist eine Wohlfühltour, garniert mit einigen "weichen Themen" – erfreulichen wie dem Abschluss der Rehabilitierung mehr als 900 österreichischer Kriegsgefangener und Repressionsopfer der Stalin-Ära. Oder unverfänglichen wie die außenpolitische Tour d'Horizon mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über Antiterrorkampf und regionale Krisen in der Welt, die heute, Dienstag, im Kreml ansteht.

"Strategische Einbindung" und "spannende Zeiten"

Beim Arbeitsfrühstück mit der Delegation von Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl am Montagmorgen schlägt Schüssel einen weiten Bogen. Von der "strategischen Einbindung" Russlands in die EU spricht er, den "spannenden Zeiten hier in Moskau" und den mehr als 40 Prozent Anstieg der österreichischen Exporte nach Russland. "Aufbruch" heißt das magische Wort, mehr habe sich in den vergangenen eineinhalb Jahren unter Putin getan als in dem gesamten Jahrzehnt seit dem Untergang der Sowjetunion, wiederholen unisono der Kanzler und sein mitgereister Wirtschaftsminister Martin Bartenstein.

Und an eben diesem Aufbruch will sich Schüssel laben, vielleicht auch das eine oder andere Neue im österreichisch-russischen Verhältnis anstoßen, wie sein außenpolitischer Berater Hans-Peter Manz vielsagend raunt. Ein Macher sei der Kanzler doch schließlich, einer, der zupackt, wenn sich die Gelegenheit bietet.

Montagmittag ist sie dann da. Während die Temperatur draußen fällt und der Matsch auf den Moskauer Straßen friert, sitzt Wolfgang Schüssel fast zwei Stunden dem russischen Premier Michail Kasjanow im Weißen Haus gegenüber, dem Amtssitz des Regierungschefs. Als bei der anschließenden Pressekonferenz Österreichs Neutralität zur Sprache kommt, grinsen sich die beiden an. Kasjanow nennt das mit sonorer Stimme die Sorgen Österreichs und empfiehlt die "Abschaffung dieser Besorgnisse". Schüssel aber gießt die alte Debatte in die Formel von der gemeinsamen Sicherheit in Europa, in die Russland natürlich eingebunden werden müsse. (DER STANDARD, Print-Ausgabe,29.1.2002)