Bühne
Das Klagenfurter Spiel vom breiten Manne
"Der Sturz" - Ein Requiem auf Milosevic von der Belgrader Autorin Biljana Srbljanovic
Ein Requiem auf Milosevic stimmt die Belgrader Autorin und
Standard
-Kolumnistin Biljana Srbljanovic in "Der Sturz" an.
Klagenfurt - Ein bedrückendes Bild: ein Käfig, darauf ein Sarg
mit dem Leichnam Titos, eine
junge Frau mit Videokamera
und eine alte Frau, die den
perfekt drapierten Verblichenen (ein beneidenswert ruhiger Rolf Holub) beklagt - mit
diesem Szenario beginnt Der
Sturz, Biljana Srbljanovics bedrückendes Drama über die
Zeit in Serbien vor dem Start
der Nato-Angriffe.
Die Katastrophe eines Volkes inszeniert als "Familien"unglück
Erschreckend eindringlich
inszeniert von Zdravko Haderlap, lässt die Autorin die
Katastrophe, die ein ganzes
Volk in ein unabsehbares Unglück gestürzt hat, in einer
"Familie" passieren. Dergleichen Mimikry, welche despotische Willkür im familiären
Umfeld verwurzelt, entspringt
einer gesunden "absurden"
Tradition: Schon Alfred Jarry
brachte in seinem König Ubu
die Shakespeare-Könige
schließlich auf ein spießbürgerliches Maß herunter.
Das Kind (Karsten Rühl)
steht hier ein für das Volk: Es
mutiert vom unterdrückten,
unmündigen Kleinkind zur
gehorsamen, jeden noch so
brutalen Befehl ausführenden
Masse, die mehr oder minder
freiwillig zum Abschlachten
auf das Kriegsfeld marschiert.
Rühl wird im Stadttheater
Klagenfurt zum alles hinterfragenden Teenager, zum faszinierten Mitläufer und, am
Ende, zum neuen, konformistischen Bürger, der sich von
seiner Vergangenheit "auf die
Schnelle" verabschiedet.
Die Übermutter: "Ich verlange, dass
alle gleichzeitig einatmen"
Die Übermutter, jene Dame,
die den Schrecken der Diktatur Milosevics gebiert und unersättlich Reichtum und Macht begehrt, ist mit Brigitte
Antonius trefflich besetzt. Sie
bekennt vollmundig: "Der
Führer wird von der Mutter
bestimmt. Ich verlange, dass
alle gleichzeitig einatmen,
und führe den Tod als Pflicht
ein." Mit erschreckender Eindringlichkeit spuckt die Übermutter ihre "Wahrheiten" und
"Befehle" aus, die einem nur
zu bekannt vorkommen und
mehr als deutlich machen,
wie ungestört und mit welch
grausamen Mitteln der Mechanismus "Macht" zu arbeiten vermag.
Marionetten-Talk
Schwach und selbstmordgefährdet die Opposition, eindringlich dargestellt von der
Schwägerin (Kirsten Hartung)
der Übermutter, deren Mann
bereits getötet wurde. Der Diktator (Alexander Mitterer)
selbst ist eine Marionette: Er lässt töten, wenn die Übermutter dazu den Befehl erteilt, und sonnt sich in seiner
Macht, die den Tod Hunderttausender ungesühnt beschließen darf.
Das Prinzip des Bösen
Das Prinzip des Bösen erhält
ausgerechnet in der Form
zweier Intellektueller auf der
Bühne Einzug (Maximilian Achatz und Peter Raab). Sie
bereiten den "Samen" Nationalismus auf, bringen ihn zum
Treiben und Blühen und füllen ihre Taschen mit der einträglichen "Ernte".
Eindringlicher als mit diesem Sturz hätte man den Beginn der Ära Milosevic nicht
vor Augen führen können. Eine Familie zur Darstellung
des Schreckensregimes inklusive Intellektueller, Opposition und dem alles besser wissenden Beobachter aus der
Ferne, dem wirtschaftlich erstarkten Europa, zu nehmen,
ist schlichtweg genial. Einer
solchen Machtstruktur gehorcht "das Volk": der Gewohnheit sei Dank, von Kindesbeinen an. (UHK)
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.01. 2002)