Eineinhalb Minuten dauert die österreichisch-russische Innigkeit. So lange sprechen Wolfgang Schüssel und Wladimir Putin miteinander und halten sich am Arm, während der andere Teil der kleinen Delegation – Wirtschaftsminister Bartenstein, Staatssekretärin Rossmann, Botschafter Cede, Wirtschaftskammerpräsident Leitl – abseits steht und auf die Vorstellung durch den Kanzler wartet.

Fast zwei Stunden erörtern Österreicher und Russen am Dienstag im Kreml das Verhältnis ihrer beiden Länder, dessen Linie der russische Präsident vorgegeben hat: "Wir wissen, dass die österreichische und die russische Regierung die Wirtschaft in den Mittelpunkt ihrer Beziehungen gestellt haben." Schüssel baut an der St.-Anton-Atmosphäre, dem Skiurlaub des russischen Präsidenten vergangenen Februar. "Europa ist ohne Russland unvollkommen", sagt der Kanzler also, Russland habe eine "sehr kluge und konstruktive Rolle" nach dem 11. September gespielt, lobt er. Und natürlich versäumt Schüssel nicht, die Genese der schwarz- blauen Koalition in Wien zu erwähnen, die Österreichs Welt in Freund und Feind geteilt hat: "Ich habe nicht vergessen, mit welcher Freundschaft und Professionalität Russland auf die neue Regierung reagiert hat."

St. Anton wirkt offenbar – Schüssel erhält nach den Konsultationen eine Einladung zum Mittagessen in Putins Privatwohnung im Kreml.

"Bunte Erfahrungen"

Während zweier Tage in Moskau ist der Kanzler nicht müde geworden, die Ernsthaftigkeit von Putins Reformpolitik zu rühmen. Er habe ja "einige bunte Erfahrungen" gemacht in den 13 Jahren, in denen er noch am Ende der Ära Gorbatschow zunächst als Wirtschafts-, später als Außenminister in Moskau verkehrte. Eine "ganz andere Spielliga" sei das jetzt hier, versichert Schüssel spätabends im kleinen Kreis. Russland habe vielleicht noch keine perfekte Marktwirtschaft, aber die Richtung stimme nun immerhin. Schüssel lehnt es deshalb auch ab, die Gängelei der Medien durch die russische Regierung zu kritisieren. In die Machtkämpfe der Gusinskis, Beresowskis und Lukoil müsse man sich ja als Österreicher nicht einmischen, sagte er. Die Schließung von TV-6, der letzten unabhängigen, landesweit sendenden Fernsehstation, liegt erst eine Woche zurück.

Wiedergutmachung

Aufrichtigkeit, eine gewisse Klarheit scheint Schüssel in den österreichisch-russischen Beziehungen zu suchen. Die geschichtliche Wiedergutmachung ist ein Thema, das er immer wieder anspricht. Die stellvertretende Regierungschefin Valentina Matwienko habe ihm versichert, sich nun persönlich um eine schnellere Abwicklung des Entschädigungsfonds für russische Zwangsarbeiter zu kümmern, berichtet Schüssel.

Nicht einmal zehn Prozent der vielleicht 25.000 Antragsberechtigten sind derzeit erst erfasst, und immer hat die russische Seite noch keine Bank benannt zur Auszahlung der insgesamt 50 Millionen Euro (688 Mio. Schilling). Noch bis Februar soll das anders sein.
(DER STANDARD, Printausgabe, 30.1.2002)