Zwei Jahre amtiert die schwarz-blaue Regierung demnächst, ein gutes Jahr hat sie vielleicht noch vor sich, und selbst wenn sie sich, wie der ÖVP-Klubobmann schwört, bis zum letzten Septembersonntag 2003 an ihre Ministersessel klammert, wird die Frist nicht viel länger, denn ab dem Sommer davor wird nichts mehr passieren. Folgerichtig haben wir in den letzten Wochen die Eröffnung des Wahlkampfes erlebt, denn viel mehr war der Radau um das Temelín-Volksbegehren nicht. Schließlich waren sich ausnahmslos alle Beobachter, sofern sie nicht eigene medienpolitische Interessen verfolgten, schon vorher darüber einig, dass dieses populistische Unterfangen keinerlei Einfluss auf den Gang der Dinge in der EU haben werde; haben drei von vier Parteien vorher erklärt, an ihrem Standpunkt werde sich nichts ändern - warum dann wegen 15 Prozent?

Das Unternehmen hatte seinen Zweck in sich selbst, ebenso wie der Angriff auf die macht- und geldgeilen Verfassungsrichter, der zu erwartende Angriff auf die habgierigen Banken und wer weiß, welches Getöse noch: Stimmung zu machen für die Partei des Radaumachers. Und wenn man Meinungsforschern Glauben schenken kann, soll das sogar ein bisschen gelungen sein. An der Grundbefindlichkeit der Bevölkerung hat es aber ebenso wenig geändert, wie alle die genialen Regierungsmaßnahmen zu deren Wohl geändert haben. Die Koalitionsparteien pendeln gemeinsam bei knapp über 50 Prozent, die Oppositionsparteien knapp darunter und die SPÖ bleiern stabil um die 35 Prozent.

Eine Regierung hat naturgemäß mehr Möglichkeiten, ihr Schicksal mit bestechenden Maßnahmen zu beeinflussen, mögen sie auch bescheidener sein als plakatiert. Die Opposition hingegen ist allein auf ihre Überzeugungskraft angewiesen, und das wird insbesondere für die größere Oppositionspartei langsam ein Problem. Die stimmungsmäßige Hegemonie der Wendepropagandisten konnte sie bisher offensichtlich nicht brechen, als überzeugende Alternative wird sie bisher nicht einmal von den Opfern Grasserscher Steuerpolitik wahrgenommen, obwohl die Kritik an der Regierung auch dort lauter wird, wo ihre Bildung einmal begeistert gefeiert wurde. Skepsis wächst, aber echter Zorn bleibt aus. Ernüchterung ja, auch Apathie, aber die große Sehnsucht nach Änderung der Verhältnisse ist nicht zu spüren.

Nicht, dass man in der SPÖ aller Ideen bar wäre. Aber was bisher davon bekannt geworden ist, sind kleine Alternativvorschläge und große Abstraktionen. Die von Gusenbauer angepeilte Abkehr von Dogmen sozialdemokratischer Vergangenheit bedeutet zunächst nicht mehr als die Abkehr von alten Stammwählern. Die können nur gehalten, neue Wähler nur gewonnen werden, wenn auch neue, konkrete Inhalte an die Stelle der Dogmen treten, von denen sich die SPÖ trennen soll.

Die sozialen Diskurse der vergangenen zwei Jahrzehnte hätten den Charakter eines Abwehrkampfes getragen, meint Gusenbauer richtig. Umso mehr wäre darauf zu achten, dass die neuen nicht den Charakter der Verwechselbarkeit annehmen. Die SPÖ soll sich zu einer "solidarischen Hochleistungsgesellschaft" bekennen. Klingt flott, aber in dieser Allgemeinheit könnte ein solches Bekenntnis auch ein Andreas Khol ablegen. Die SPÖ will "Anwalt des Wettbewerbs" werden? Nichts dagegen, könnten sich viele sagen, aber seit wann ist der Leitl in der SPÖ?

Schon rechts und links zu verwechseln ist heutzutage leicht - die FPÖ lebt davon. Umso wichtiger in der Hysterie des anlaufenden Wahlkampfes, deren Vorgeschmack wir spüren, dass wenigstens Inhalte unverwechselbar sind. Sonst fällt man den Wählern nicht einmal auf.

(DerStandard,Print-Ausgabe,30.1.2002)