Manche Ideen, die beim ersten Hinhören wie die Neuerfindung der Welt klingen, sind uralt und kaum mehr als billige Abstauberei. So reklamiert der Kärntner Landeshauptmann für sich, die Reformdebatte über den Verfassungsgerichtshof mit seinen Angriffen auf dessen Präsident Ludwig Adamovich in Gang gebracht zu haben. Diese sind aber nichts weiter als ein Zeugnis für das gestörte Verhältnis des Altparteiobmanns der Freiheitlichen zum Rechtsstaat und ein Beleg für sein extremes Kurzzeitgedächtnis.

Denn sowohl die Diskussion über die Professionalisierung des Gerichtshofs als auch jene über einen anderen Bestellmodus sowie über die Einführung der "dissenting opinion", also der Veröffentlichung von abweichenden Meinungen bei Erkenntnissen, die nicht einstimmig getroffen wurden, gab es schon öfter. Außerdem findet sich nicht zuletzt im schwarz-blauen Regierungsprogramm ein entsprechender "Reformpassus". ÖVP und FPÖ hätten also immerhin zwei Jahre Zeit zur Reform gehabt und nicht auf die Angriffe Haiders warten müssen, zumal sie nun in den Geruch des "unwürdigen Anlassfalls" kommen. Haider behindert eher Reformen, als dass er sie befördert.

Unabhängig davon ist zu fragen, ob jede "Reformidee" Sinn macht. So kann man trefflich darüber streiten, wie Höchstrichter bestellt werden sollen. Die im Regierungsprogramm vorgesehene Begutachtungskommission, die aus den Präsidenten der Höchstgerichte sowie aus Vertretern von Lehre und Praxis bestehen und eine Vorauswahl der Kandidaten treffen soll, wird an der derzeitigen Besetzungs- praxis des Verfassungsgerichtshofes kaum etwas ändern, außer dass die FPÖ halt zwei Richter bekommt.

Der gewünschte Zweck der "Objektivität" wird aber nicht erreicht, wenn damit gemeint sein sollte, dass in den Verfassungsgerichtshof nur solche Frauen und Männer entsendet werden, die keiner Partei nahe stehen oder über keine politische Gesinnung verfügen. Damit würde nur eine Scheinobjektivität zur Beruhigung der Öffentlichkeit geschaffen, da letztendlich jeder Bestellungsakt irgendwie politisch festgemacht werden kann.

Am Beispiel des ORF ist dies gut zu beobachten. Da wurde eine "unabhängige" Kommission geschaffen, um eine "unabhängige" Unternehmensleitung zu bekommen. Herausgekommen ist eine Führung, die den Koalitionsproporz lupenrein spiegelt, und der ORF ist um keinen Deut "unabhängiger" geworden. Jede noch so "unabhängige" Bestellform ist für die Katz, wenn die dort agierenden Personen sich nicht von jenen emanzipieren, die sie entsendet haben. Genau hier ist der Angelpunkt auch bei der Bestellung der Höchstrichterinnen und Höchstrichter.

Die Frage ist nicht, welche Kommission wie entsenden darf, sondern die zentrale Frage ist, ob die handelnden Personen in die Lage versetzt werden, sich überhaupt von den entsendenden Organen zu emanzipieren. Das ist nur dann möglich, wenn sie von diesen "nichts mehr wollen müssen". Ein Höchstrichter, der auf seine neuerliche Nominierung schielt, kann sich mit großer Wahrscheinlichkeit weniger gut von seinen Entsendern (Regierung, Parlament, Parteien) emanzipieren als einer, der auf Lebenszeit bestellt ist. Eine Begrenzung der Amtszeit der Verfassungsrichter, die derzeit bis zum 70. Lebensjahr nominiert sind, wäre somit kontraproduktiv.

Zu begrüßen wäre hingegen, wenn Höchstrichter nur noch dieses Amt und keinen anderen Beruf mehr ausüben dürften. Dies würde nicht nur die leidige Debatte um zusätzliche Einkommen beenden, sondern die Richter vom Zeitdruck entlasten. Er ist darauf zurückzuführen, dass in den wenigen Sessionswochen ein enormes Arbeitspensum zu bewältigen ist. Alles spricht auch für die Einführung der "dissenting opinion", um endlich die Spekulationen darüber zu beenden, mit welchen Mehrheiten ein Erkenntnis zustande gekommen ist. Die Höchstrichter sind gut genug, sie brauchen die Öffentlichkeit nicht zu scheuen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 31.1.2002)