Die Passagiere stehen vor und auf der Gangway im eisigen Januarwind. Die Schlange wird nur langsam kürzer, weil die Fluggäste beim Einsteigen lange das Zeitungssortiment studieren und sich beschweren, dass die
Süddeutsche
vergriffen ist. Im Inneren des Flugzeugs ist es eng und stickig. Die Gepäckfächer sind übervoll mit den Koffern des mittleren Managements, es riecht nach einem verschwitzten Tag mühseliger Präsentationen in Unternehmen, die ihr Budget kürzen müssen. Als ich meinen Platz erreiche, ist es nicht mehr möglich, meinen Mantel zu verstauen, sodass ich ihn neben allen anderen Dingen auf meinen Knien halten muss. Ich sage der Stewardess, dass das eine Zumutung ist. Sie lächelt und sagt nichts.
Als letzter Passagier zwängt sich ein bulliger Mann in Lederjacke durch den Mittelgang, er trägt einen riesigen Koffer und steuert auf den Platz neben mir zu. Der Koffer nimmt den gesamten Raum unter unseren Sitzen ein, auch den meiner Füße. Ich spüre Aggression in mir aufsteigen. Der kräftige Mann zwängt sich im Sitzen aus seiner Jacke, und jetzt sehe ich, dass er eine grasgrüne Uniform trägt. Auf seinem rechten Ärmel sind drei silberne Sterne aufgenäht, und daneben ist "United Nations" zu lesen. Der Mann schließt die Augen und schläft sofort ein. Seine Hände passen nicht zu seinem korpulenten Körper, sind viel zarter. Als die Stewardess mit dem Getränkewagen anrollt, wacht der Mann auf, und ich frage ihn, welchen Rang die drei Sterne bedeuten. Er sagt, dass es keine Ränge dort gebe, wo er arbeitet. Er ist Polizist aus Flensburg und in Pristina stationiert, eingeteilt für Koordinationstätigkeiten, nicht als Soldat. Und dass er seit drei Tagen nicht geschlafen habe, weil er Nachtschicht hatte. Und heute noch nichts gegessen. Und wie knapp es war, heute noch aus Pristina herauszukommen. Zweimal sei er umgestiegen, zuletzt in Wien. Von Hamburg aus würde er sich einen Mietwagen nehmen, Mitternacht könnte er in Flensburg sein. Drei Tage Urlaub! Der Mann sieht glücklich aus.
derStandard/rondo/1/2/02