Viele, denen die Wende heute säuerlich aufstößt, haben sie vor zwei Jahren freudig begrüßt. Nett zu sehen, wie sie dennoch Recht gehabt haben wollen, wenn man sie darauf anspricht. Einer der freudigsten Begrüßer war damals der Schriftsteller Robert Menasse, der die Einsetzung der schwarz-blauen Regierung als eine Vertreibung aus der Hölle der Sozialpartnerschaft empfand und in einem Interview mit "Format" (31. Jänner 2000) als einen Glückstag für Österreich pries. Kaum aus inhaltlicher Sympathie für Schwarz-Blau, wie man korrekterweise sagen muss, bloß - weil ihm Rot-Schwarz als der Übel größtes schien.

Zwei Jahre nach dem Glückstag musste er nun - wieder in einem Format"-Interview - einräumen, dass es im "Land ohne Eigenschaften" mit dem Glück nicht annähernd so weit her ist, wie er es damals vorausgesagt hat: Diese zwei Jahre waren so angenehm wie ein schweres Fieber. Aber irgendwie doch auch wieder ein Glück, denn schließlich hat man eine Reputation als Prophet im eigenen Lande zu wahren: Kein Mensch will Fieber haben, aber jeder Kranke braucht es, um gesund zu werden. Oder anders gesagt: Es war "gerade noch ein Glück", also eine Katastrophe - die einer noch größeren Katastrophe vorzuziehen ist. Da legst di nieder, o Tante Jolesch!

Das Glück also - damals. Ja. denn an diesem Tag - an dem die Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP endgültig scheiterten - ist eindeutig und wahrscheinlich unwiderruflich ein System zusammengebrochen, das man nicht anders als vordemokratisch bezeichnen kann. Natürlich kann dies allein nicht automatisch zu einem Demokratisierungsschub führen. Aber es ist dafür eine notwendige Voraussetzung.

Leider hat sich die Voraussetzung für das Glück als nicht ganz so notwendig erwiesen, wie vom Systemkritiker angeordnet, daher heute: Wir haben heute in Österreich sehr problematische Verhältnisse, die mit dem Fieber, das einer noch größeren Katastrophe vorzuziehen ist, etwas gemeinsam haben, nämlich zugleich auch ein größeres gesellschaftliches Bewußtsein von der Problematik der Verhältnisse.

Dabei dachte man, ein größeres gesellschaftliches Bewußtsein von der Problematik der Verhältnisse, wie es der Schriftsteller Robert Menasse schon vor zwei Jahren einer staunenden Umwelt vermittelt hat, könnte es gar nicht mehr geben. Wenn wir also Wut haben, dann haben wir heute eine konkretere Wut, was es ziemlich schwer macht, sich vor lauter Glück noch zu fassen. Wenn aber die Verhältnisse so verschleiert und daher so unbegriffen sind, wie das im sozialpartnerschaftlichen Österreich der Fall war, dann gedeiht im allgemeinen bloß das blinde Ressentiment. Darum wäre die Fortsetzung des Status quo ante die noch größere Katastrophe.

So verschleiert waren die Verhältnisse in Österreich freilich auch wieder nicht, dass niemand begriffen hätte, wie sehr den Sozialpartnern demokratische Transparenz am Herzen lag; und was das blinde Ressentiment betrifft - zurückgegangen ist die Auflage der "Kronen Zeitung" in den Fieber-Jahren seit Menasses Glückstag auch nicht.

Etwas unbegriffen scheint indes die Rolle der Freiheitlichen Partei zu sein, aber da spielt die List der Geschichte dem Geschichtenerzähler einen kleinen Streich. Das ist möglicherweise eine List der Geschichte, verriet er vor zwei Jahren. Ich halte es zum Beispiel durchaus für möglich, daß der Eintritt der Freiheitlichen in die Regierung sogar im Hinblick auf die Menschenrechte einen Fortschritt darstellt. Ein freiheitlicher Innenminister . . . hätte den Fall Omofuma keine drei Tage politisch überlebt. Er hätte zurücktreten müssen.

Nun sind zwar schon einige freiheitliche Minister zurückgetreten, da hat aber Mangel an persönlicher Eignung eine größere Rolle gespielt als ein Übermaß an geschichtlicher List. Hingegen hat etwa ein freiheitlicher Justizminister die Spitzelaffäre schon viel länger als drei Tage politisch überlebt, was im Hinblick auf die Menschen- und sonstigen Rechte keinen besonderen Fortschritt darstellt. Menasse will daher der Geschichte an List um nichts nachstehen und würdigt den Eintritt der Freiheitlichen in die Regierung im zweiten Versuch mit der syntaktischen Ikone: Die FPÖ ist eine normale Partei im Sinne einer Normalität, die auf sie immer schon zugetroffen hat. Sie ist sozusagen Bestandteil der österreichischen Normalität seit 1986. Daran hat sich auch im Jahr 2002 nichts geändert.

Das wird Schüssel kränken, der die normale Partei als so wenig normal im Sinne einer Normalität empfand, dass er sie zähmen wollte, um dem Begriff Normalität ein wenig Sinn einzuhauchen und das Österreichische auszutreiben. Dessen Regierung werde Zeit genug haben, um nicht wieder rückgängige Entscheidungen zu treffen, hat vor zwei Jahren "Format" befürchtet, worauf es von Menasse als Antwort erhielt: Das glaube ich nicht. Menasse jetzt: Die personalpolitischen Schäden sind die größten. Was in den Medien, in den Unternehmen, in der Verwaltung, in den Ländern an Elitenaustausch passiert ist, ist kurzfristig nicht mehr umkehrbar. Die Glücksritter, die jetzt hochgekommen sind, sind völlig prinzipienlose Menschen. Eine konkrete Wut könnte man kriegen, wenn man an den Glückstag denkt, der sie emporkommen ließ.

Aber seien wir nicht ungerecht, Robert Menasse behielt auch in einigen Punkten Recht. Nur zu dumm - ausgerechnet die hat er vor zwei Jahren in "Format" geheim gehalten. Da versprach er uns von der neuen Konstellation unter anderem auf jeden Fall auch eine atmosphärische Verbesserung - Volltreffer! Doch das Wichtigste, das, was aus dem Glückstag noch einen Glückstag hätte machen können, blieb ungesagt - bis jetzt. Alles, was Herr Schüssel Österreich an produktiver Erfahrung bringen konnte, war am Tag seiner Angelobung schon eingelöst - er hätte eigentlich am zweiten Tag zurücktreten können. Das ist auch sein eigentliches Problem. Er war von Anfang an am Ende. . . Schüssel hat jeden nachvollziehbaren Anspruch aufgegeben, außer diesen: Er will Kanzler sein! Das wird allerdings nicht genügen, um es zu bleiben. . . Schüssel ist am Ende, politisch ein "Dead Man Walking". Der einzige, der es noch nicht weiß, ist Schüssel selbst.

Robert Menasses Wissensvorsprung gegenüber dem Kanzler ist nicht allzu groß, sonst hätte er den Lesern von "Format" diese Information gewiss nicht so lange vorenthalten. Hans Dichand hat uns das schon vor zwei Jahren verraten.

(DER STANDARD, Printausgabe, 2.2.2002)