120 Tonnen Zyanid gelangen vor zwei Jahren in das Fluss-System von Lapus, Somes, Theiß und Donau - ein Lokalaugenschein
Redaktion
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Von der Fassade der Volksschule Sasars blättert die Farbe ab. "Sie haben versprochen, die Schule neu anzustreichen, aber nichts ist passiert!", erzählt der Journalist Cristian China-Birta. Das Wasser hier schmeckt noch immer nach Zitrone. "Wir leben nicht - wir existieren bloß."
Die Existenzen sind kurz in der Minenstadt Baia Mare: 11.000 Arbeiter haben hier eine Lebenserwartung, die 15 Jahre unter dem rumänischen Durchschnitt liegt. Wenigstens ist jetzt der giftige Nebel verschwunden. Die Bewohner von Baia Mare sind stolz auf ihren Schornstein. "Der Schlot ist eines der höchsten Gebäude Rumäniens!", sagt Cristian. "Jetzt bläst der Wind die Giftwolke weg. Die Luft von Baia Mare ist nicht stärker verschmutzt als die von Bukarest". Vor dem Bau des 350 Meter hohen Schornsteins der heute englischen Firma Phoenix hing tagsüber ein schwerer Nebel über der Stadt. Wenn Ceau¸sescu seinen Besuch ankündigte, wurde die Produktion Tage vorher eingestellt. Der Giftnebel aus Schwermetallen war oft so dicht, dass er Löcher in Strumpfhosen ätzte.
Ende Jänner 2000 verschwor sich alles gegen Baia Mare. Tage zuvor hatte es geschneit. Es folgte ein rapider Temperaturanstieg von -13° auf +9° mit tagelangen Regengüssen. Die Wasserspiegel der Flüsse schwollen an. Auch der des Rückhaltebeckens der Goldwaschanlage Aurul. Philipp Eves, der damalige Manager des australischen Mehrheitseigentümers Esmeralda, hätte für den Notfall vorsorgen müssen. Er hätte das Wasser auspumpen, den Damm verstärken und Armeeeinheiten anfordern müssen. Das hätte Wellen geschlagen. Phil wartete ab.
Am 30. 1. 2000 brach um 10.20 Uhr die Dammkrone. Einige Tage später war die Theiß ein toter Fluss. Die im Rückhaltebecken gesammelte Blausäurelauge hatte Hunderte Tonnen von Fischen getötet. Viele Fischer vor allem auf ungarischem Gebiet standen vor dem Nichts. Die Katastrophe internationalisierte sich rasch. Es folgten gegenseitige Anschuldigungen von ungarischer und rumänischer Seite. Mircea Dinescu, der Vorzeigepoet der Revolution von 1989, verdächtigte in einem Interview Serbien, Ungarn und CNN der Konspiration.
"Ich kann nur tote Karpfen sehen, die möglicherweise von einer Fischfarm stammen und von ungarischen Medien vorgeführt werden", sagte Prof. Marcian Bleahu, der eine kleine Gruppe konservativer Grüner im rumänischen Parlament anführt. In den 90er-Jahren war er als Umweltminister Rumäniens in Skandale über Giftmüllhandel verstrickt. Es gab Mutmaßungen, ungarische Unternehmen hätten die Gunst der Stunde genutzt, um toxische Rückstände in die Theiß zu schütten.
Der Unfall goss Öl ins Feuer des schwelenden Konflikts zwischen Rumänien und Ungarn. Zurzeit gibt es gröbere diplomatische Verstimmungen über die von Ungarn geplanten ID-Cards für ungarische Staatsbürger in Rumänien, die den dort ansässigen Ungarn im Falle des EU-Beitrittes den Status von EU-Bürgern garantieren würden. Und damit einen Sonderstatus in dem EU-Anwärterland Rumänien. Die Jagd nach dem Ahnenpass hat schon begonnen. Die Rumänen sehen darin einen Eingriff in ihre staatliche Souveränität.
Die ungarischen Behörden verklagten Aurul auf 179 Mio. Dollar. Der Prozess ist noch anhängig. Die Firma Esmeralda Explorations, die neben der verstaatlichten rumänischen Remin 50 Prozent an Aurul hält, übergab seine Geschäfte daraufhin in die Hände eines Konkursverwalters. Damit konnte sie sich den Schadensersatzforderungen leichter entziehen.
Vor 89 lieferte die staatliche Remin jährlich 1,6 Tonnen Gold und neun Tonnen Silber an die rumänische Nationalbank ab. Sie war mitnichten ein ökologisches Vorbild, aber man arbeitete mit stabilen Becken, die auch witterungsfest waren. Und man produzierte nicht am Limit der Kapazität - die kommunistische Unproduktivität war da noch umweltfreundlicher.
Nach 1989 wurde ein Teil der Remin privatisiert. Die Esmeralda investierte 28,2 Millionen Dollar, 1998 wurde von australischen Ingenieuren im Schnellverfahren das Becken gebaut. Man begann mit der Aufnahme des Goldabbaus, obwohl der Damm noch nicht hoch genug war. Es gab nur eine vorläufige Genehmigung mit der Auflage, die Bedingungen zu verbessern. Die Firma Esmeralda hoffte laut eigenen Schätzungen, bis zu 480.000 Unzen Gold und 2,2 Millionen Unzen Silber abzubauen. Die Ausbeutung sekundären Materials, das bereits von der Remin gewaschen worden war, sollte mit einer hoch konzentrierten Blausäurelösung in einem geschlossenen Sicherheitssystem erfolgen. Ohne Emissionen und ohne Wasseraustausch in die umliegenden Flüsse.
Ironischerweise erwies sich gerade dieser ambitionierte Plan als fatal, wie die Internationale Taskforce der EU, die den Fall untersuchte, in ihrem Bericht folgerte. Aufgerüstet mit Hightech meinte man, für den Notfall nicht vorsorgen zu müssen. Die Erfahrung rumänischer Ingenieure wurde ignoriert. Und das Wetter machte schließlich einen Strich durch die Rechnung.
Die Bewohner der umliegenden Dörfer hatten wenig von dem Goldrausch. Der Präfekt von Recea, Maxim Popovici, ist auf Aurul nicht gut zu sprechen: "Aurul beschleunigte den Prozess rücksichtslos, um schnelleren und größeren Profit zu erwirtschaften." Recea gehört heute zu den verschmutztesten Regionen Rumäniens überhaupt.
Das Nachbardorf Bozinta Mare bekam eine neue Wasserleitung, die aus einem Fonds der Weltbank bezahlt wurde, weil es zu dem Distrikt von Baia Mare gehört, dem auch Aurul zugeordnet ist. Die Giftwelle ergoss sich aber vor allem durch Recea. Und das Dorf Sasar. Die Einwohner von Sasar beklagten schon 1999 den atemberaubenden Geruch. Schon damals wurde ein leckendes Becken nicht repariert. Als die Einwohner, die in der Nähe des Leitungssystems der Mine leben, die Behörden zur Kontrolle des Trinkwassers aufforderten, schickten diese Wissenschafter von Aurul. Danach versuchten die Aurul-Betreiber die Kosten von 250 US-Dollar für die Analysen von den betroffenen Familien einzutreiben.
Heute hat das Dorf Sasar noch immer kein fließendes Wasser. Nach dem Unfall brachten die Leute von Aurul den Bewohnern der umliegenden Dörfer Wassercontainer und 20 Liter Mineralwasser pro Familie. Und sie machten Versprechungen. Gehalten wurde fast nichts. "Als ein Nachbarhaus in Flammen stand, hatten wir kein Wasser zum Löschen", sagt eine Dorfbewohnerin. Nach dem Unfall fiel die komplette Ernte aus, viele Kühe und Gänse starben, als sie von dem verseuchten Wasser tranken.
Die Bauern bekamen 18,500.000 Lei pro verseuchtem Hektar: 655 Euro - zum Leben zu wenig - zum Sterben zu viel. Nach dem Unfall klagte Recea die Firma Aurul auf 25.000 Schilling Schadensersatz. Mehr konnte sie aufgrund der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht einklagen. Der Prozess ist noch anhängig. Geholfen hat die deutsche Caritas. Sie spendete 35.000 DM für die umliegenden Dörfer.
Ob sie böse auf Aurul sei? Eine Dorfbewohnerin aus Sasar schüttelt den Kopf. Es gebe gute und schlechte Menschen. Nach dem Unfall habe es einige Bauern aus den umliegenden Dörfern gegeben, die ihre alten Gänse und Pferde geschlachtet hätten, um von Aurul Entschädigungen zu erhalten. "Das sind böse Menschen!"
Trotz des Unfalls bleibt Aurul eine angesehene Firma. Eine Schließung wäre ein großer Verlust. Es sind begehrte Jobs. "Die Firma sieht besser aus als viele rumänische Firmen. Wenn du kein Brot und keine Milch auf dem Tisch hast, kämpfst du nicht für höhere Prinzipien wie den Umweltschutz. Das Gift kannst du nicht sehen", sagt der Journalist China-Birta und deutet auf den Firmenkomplex.
Aurul arbeitet weiter. Das Becken III, das den Unfall verursachte, ist wieder in Betrieb. Ohne offizielle Genehmigung. Es ist ein Teufelskreislauf: Ohne Investitionen gibt es keinen Wirtschaftsaufschwung. Ohne Wirtschaftsaufschwung bleiben die Löhne niedrig und damit die Anfälligkeit für Korruption in den Behörden.
Im Hintergrund erheben sich die verschneiten Rücken der Karpaten. "Die Leute sollen die wunderschöne Maramure¸s besuchen. Wir haben eine der größten Kastanienplantagen Europas. Das ist schön!", erklärt China-Birta.
Das Rückhaltebecken ist mit Stacheldraht umzäunt. Im Stacheldraht weht ein Warnschild: Gefahr! Giftiges Wasser. Am Damm entlang läuft ein rostiges Rohr. Es wird noch immer gearbeitet. Arbeiter schütten mit Baggern Hügel aus Sand und Morast auf. Der Damm des Rückhaltebeckens wurde um drei Meter erhöht. Die angrenzenden Felder sind durch schwarze Polyäthylen-Folien geschützt. "Einer von den Nachbarn hat schon wieder Gemüse angepflanzt", sagt ein Dorfbewohner von Bozinta Mare. "Es hat ganz normal ausgesehen." (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe, 2./3. 2. 2002)
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