Dreißig Skeleton-Nationen gibt es weltweit, das sind nicht wenig im Vergleich zu anderen Wintersportarten, an der Spitze freilich wird die Luft wie überall sonst sehr dünn, die Favoriten sind leicht an einer Hand abzuzählen, es handelt sich um zwei US-Amerikaner, einen Schweizer und einen Österreicher, eben Rettl. Dem liegt jedenfalls die Olympia-Bahn in den Wasatch Mountains östlich von Salt Lake City, er spricht von "Liebe auf den ersten Blick". Der Eiskanal ist einer der längsten der Welt, die Fahrtzeit aber eine der kürzesten, das liegt daran, dass sonst nirgendwo derartige Geschwindigkeiten erzielt werden. Gleich vom Start geht's sehr steil weg, das führt zu Spitzenwerten von 133 km/h und einem Schnitt, der zwischen 105 und 110 km/h liegt.
"Es gibt keine richtig schwierige Stelle, zum Beispiel keinen Kreisel", sagt Rettl. "Aber gerade deshalb ist es wichtig, technisch sauber zu fahren, sozusagen zu gleiten." Dem Material kommt viel Bedeutung zu, Rettl fährt einen kanadischen Schlitten, der Rahmen ist aus Federstahl, die Verkleidung unten aus Plastik, oben aus Schaumgummi, jeder Metallteil muss abgedeckt sein, die Kufen bestehen aus 16-mm-Rundstahl. Rettl: "Viele tüfteln viel herum. Aber der Großteil der Materialschlacht spielt sich im Kopf ab. Entscheidend ist, dass du von deinem Gerät überzeugt bist." Fahrer und Schlitten dürfen insgesamt nicht mehr als 115 Kilogramm wiegen. Rettl allein, 1,84 Meter groß, wiegt 71 Kilogramm, er bringt ideale Voraussetzungen mit, ist athletisch genug, um hervorragende Startzeiten zu erzielen, bietet der Luft aber im Eiskanal wenig Widerstand. Nur wenn's schneit, hat Rettl ein Problem, für ein Schneerennen bringt er zu wenig Gewicht mit.
Mario Guggenberger war selbst ein Spitzenpilot, jetzt ist er der Sportkoordinator der Skeletonisten, die witzigerweise nicht mit den Rodlern, sondern mit den Bobfahrern einen Verband bilden. Er ist überzeugt davon, dass der Sport beim olympischen Comeback das Publikum begeistern wird, nennt Skeleton "die Formel 1 des Wintersports. Der Laie kann schon sehr viele Details erkennen, die fünf Besten fahren fünf verschiedene Linien, das ist ganz anders als im Rodeln, wo's nicht die geringsten Unterschiede zu sehen gibt."
In der Vorwoche ist Rettl noch seinem Beruf, jenem eines Lotsen auf dem Innsbrucker Flughafen nachgegangen. Im Februar hat er freibekommen, von Urlaub indes kann nicht gesprochen werden. "Aber ein Souvenir", sagt er, "tät' ich schon gern mitbringen aus Salt Lake City." Und eine neue Haarfarbe. (Fritz Neumann, Printausgabe DerStandard, 03.02.2002)