Über die Jahrhunderte ist Österreich ein katholisches Land gewesen. Vielleicht ist dies das Katholische an uns, dass so viele glauben, Veränderung alleine könne nicht helfen, es müsse schon Erlösung sein. Das Unangenehme an der Veränderung ist, dass die Menschen sie selber zu erwirken haben, das Angenehme an der Erlösung hingegen, dass sie ihnen widerfährt - von oben, von außen, von einem Gott, einem Führer, jedenfalls von einer Macht, der man sich zu seinem eigenen Besten nur zu ergeben braucht.

Die katholische Sehnsucht nach Erlösung hat in den letzten hundert Jahren fast alle politischen Strömungen bestimmt, aus denen in Österreich etwas wurde, namentlich den Austromarxismus und den Deutschnationalismus, die ich ansonsten nicht miteinander in eins setzen möchte. Noch in der Bewegung, die zum Beitritt Österreichs zur EU führte, war das Erlösungsmotiv unüberhörbar: Europa, Du bist die Macht, die uns notfalls gegen unseren Willen, aber zu unserem Nutzen auf Trab bringen wird! Erledige Du für uns die Dinge, die aus Eigenem zu verändern wir die Hoffnung längst aufgegeben haben!

Verfolgte man den Wahlkampf der letzten Wochen, und wie er von den Politikern und Medien geführt, den Intellektuellen kommentiert, dem Wahlvolk hingenommen wurde, dann stieß man staunend immer wieder auf diese Sehnsucht nach Erlösung. Als wäre ganz Österreich jahrelang in einem lähmenden Starrkrampf gelegen, scheint nun vielen jede Arznei recht, den Krampf zu lösen. Ein Popanz der Immobilität soll die große Koalition endlich stürzen; ein Ende, egal welches, nichts als ein Ende muss das alles finden.

Liest man die Leitartikel in Format und profil, ist man überrascht, dass Österreich trotz aller Versäumnisse, die dort aufgelistet werden, immer noch nicht zum Entwicklungsland abgesunken ist. Überall schießt eine seltsame Aggressivität hoch, kaum dass über die Zukunft Österreichs diskutiert wird; nein, wieder einmal reicht Veränderung für uns nicht aus, wieder einmal kann uns nur Erlösung retten. Die FPÖ lockt ihre wachsendes Klientel ohnehin mit der Aussicht, sie werde nicht lange fackeln, sondern die Zweite Republik mit all dem Parteiengezänk und Proporz, den Bonzen und Sozialschmarotzern, den Kinderschändern und Grippeepidemien in Trümmer legen.

Manches Wahlplakat, etwa jenes, das Haider innig auf eine ältere, sichtlich orgiasmierte Frau mit bäuerlichem Haarkranz niederblicken lässt, stilisiert den Parteiführer unverkennbar zum Kärntner Messias, der sich der Beladenen, Bedrückten und Bescheuerten annimmt. An Kinderscheck und Flat-Tax-Gerechtigkeit wird auch innerhalb der FPÖ wohl kaum jemand glauben; aber die Partei erlöst ihre Anhänger immerhin aus unerträglichen zivilisatorischen Pflichten wie Respekt und Toleranz. Wer etwa gesehen und gehört hat, wie Herr Prinzhorn vor laufender Kamera auf der wahnwitzigen Behauptung bestand, dass an Asylanten in Österreich Fruchtbarkeitspillen verabreicht werden, um deren Fertilität zu erhöhen, der weiß, dass die Ethnisierung alltäglicher Konflikte nicht nur eine Vergangenheit auf dem Balkan, sondern auch eine Zukunft in Österreich hat.

Es muss verwundern, dass einer Partei, die so unverhohlen auf Erlösung und Heil setzt, so wenig an Veränderung und Politik entgegengesetzt wird. Während sie die Lebensverhältnisse vieler Österreicher mittels eines so genannten Sparpaketes veränderte, hat sich die große Koalition zugleich fortwährend als Garant der Beharrung präsentiert. Und der Kanzler pflegte bei seinen großen Medienauftritten ein Österreich zu beschwören, das der Veränderung gar nicht bedarf, weil es schon längst der Erlösung teilhaftig geworden ist: Uns geht es gut, alle beneiden uns, wir haben es geschafft, so muss es bleiben. "Fortsetzung" heißt seine Losung, und dass manche Österreicher, mit denen es in den letzten Jahren fortgesetzt bergab ging, diese als bedrohlich empfinden, ist Klimas Beratern, die vollauf damit beschäftigt waren, ihm zu sagen, dass er alles mindestens drei Mal wiederholen müsse, so unbegreiflich wie gleichgültig geblieben.

Konsequent haben die beiden Regierungsparteien darauf verzichtet, der Propaganda mit einer Politik zu begegnen, die die Propaganda ihrer Lächerlichkeit überführt und eigene Ziele formuliert:

Wenn die christliche Partei heute auf die Armut in Österreich angesprochen wird, fällt ihr als erstes stets der Missbrauch der Sozialhilfe ein, den sie unterbinden werde; und die SPÖ reagiert auf die rassistische Volksverhetzung jener Hojacs und Kabas, die behaupten, alles Unglück wäre vom Zuzug der vielen Hojacs und Kabas aus dem Osten verursacht, stolz mit Erfolgsberichten, die Fahndung an der Grenze betreffend.

Damit wird aber nichts anderes als die Lüge gelehrt, dass die Armut von den Armen verschuldet wurde, die sich schamlos bereichern, die Arbeitslosigkeit von den Arbeitslosen, der Fremdenhass von den Fremden. Wo solcherart die wahren Zusammenhänge vernebelt werden, räumt aber jener am meisten ab, dem die Täuschung so vertraut ist, dass er sie in den Medien glaubwürdig als sein persönliches Attribut zu verfechten weiß. Nachdem sie ihn so groß gemacht, ihn oftmals kopiert und dem, wofür er steht, gesellschaftliche Akzeptanz verschafft haben, buhlen die beiden Regierungsparteien nun verzweifelt mit dem Argument um unsere Stimme, man möge ihnen doch um Himmelswillen helfen, einen Kanzler Jörg Haider zu verhindern.

Verständlich, dass einen über so viel Verlogenheit die Wut packt. Wenn aus dem Zwangsdoppel, in dem die beiden großen Traditionsparteien gefangen sind, und dem gleichzeitigen Aufstieg Haiders zum unerklärten Regenten eine parteipolitische Konsequenz zu ziehen wäre, dann doch die, die kleinen Parteien zu stärken, die in Opposition zur Regierung wie zur Schattenregierung Haiders stehen.

Die Wut, so verständlich sie ist, schlägt jedenfalls oft ins Leere. Unlängst habe ich im Radio das "Journal Panorama" gehört und erlebt, mit welch ausdauernder Gereiztheit sich die diensthabenden Journalisten den Kanzler vornahmen, ihm fünf Mal hintereinander eine Antwort auf dieselbe Frage abnötigten, um Klima dann vorzuwerfen, dass er die mitgebrachte SPÖ-Kandidatin Sima nicht zu Wort kommen lasse. Ein paar Tage später zeigten sich dieselben Moderatoren gutgelaunt und dankbar für jedes Bonmot, das ihnen Haider und Prinzhorn flapsig zuwarfen. Was ist da geschehen?

Natürlich, auch die Journalisten wollen erlöst werden, von der bürgerlichen Langeweile, die ihr Beruf für sie bedeutet, von der Aussichtslosigkeit ihrer Existenz, die sie immer wieder mit denselben staatstragenden Charaktermasken zusammenbringt.

Eine ganze Generation von gelangweilten bürgerlichen Intellektuellen ist am Beginn dieses Jahrhunderts begeistert in das große Abenteuer Krieg gezogen, um nur irgendwie, womöglich in der Todesgefahr, im Stahlgewitter, noch einmal das Leben zu spüren, das so jämmerlich hinter Konvention und Routine verborgen lag. So sterbensöde ist das politische Leben in der ewigen Regierungszeit der Sozialdemokratie und mit den immer gleichen Ritualen der Koalition in Österreich geworden, dass am Ende des Jahrhunderts jede Abwechslung recht ist: das goldene Mikrophon für einen überraschenden Sager, das Coverbild für einen hübschen kleinen Skandal: Herr, unsern täglichen Haider gib uns heute und erlöse uns von allem Übel, deren größtes Österreich heißt!

Auch die Erlösung ist natürlich keine religiöse Hoffnung, kein soziales Versprechen, kein nationaler Rausch mehr, sondern eine mediale Inszenierung. Niemand hat Haider mehr gefördert als die Medien, die sich ihm auf eine Weise kritisch erwiesen, die noch den Verriss zur Werbung werden ließ. Warum sie das taten? Weil das Gesetz, dem sie folgen, das Entertainment ist, und in diesem wird nicht das skandalöse Fehlverhalten, sondern die Langeweile bestraft. Das Entertainment macht am Ende aber auch alles gleich und verwischt jeden Unterschied.

Wer den Blick für das Unterscheidende bewahren will, muss dem Entertainment widerstehen. Wenn aber Robert Menasse, dessen Kritik an der SPÖ man durchaus teilen kann, meint, dass die Wahl zwischen SPÖ und FPÖ die zwischen Pest und Cholera sei, dann ist das Geist von jenem Entertainment, das er zu kritisieren glaubt. Und das Entertainment, ob es sich kritisch wähnt oder nicht, kann nie für was Richtiges einstehen, immer nur für sich selbst.

Karl-Markus Gauß lebt als Schriftsteller und Essayist in Salzburg.