Berlin - Er ist wie aus dem Ei gepellt, adrett vom klassischen Haarschnitt bis zu den blank geputzten Schuhen und ganz in edles schwarzes Tuch gehüllt. Fehlt nur noch die Sonnenbrille zum Man in Black. Ganz sicher ist Wladimir Kaminer keine komische Figur und seine Geschichten aus dem Leben und aus der Sicht des Wladimir Kaminer sind nicht alle und alle nicht wirklich komisch. Trotzdem fangen die Leute bei seinen Lesungen fast sofort zu lachen an. Das mag zum Teil daran liegen, dass er mit dem klassischen Komikertrick arbeitet - er selbst lacht nie und verzieht kaum eine Miene -, zum anderen am wohlklingenden russischen Akzent samt rollendem "r" und kehligem "(c)h", lässt sich damit aber nicht endgültig erklären. Ganz sicher aber ist: Wladimir Kaminer ist ein Faszinosum. 1967 in Moskau geboren, kam er 1990 nach Deutschland, lernte Deutsch aus Büchern und schreibt sie heute selbst - auf Deutsch. In Berlin, wo er mit Frau, zwei Kindern und Katze lebt, hat er Kultstatus. Im Kaffee Burger, wo der Erfinder der "Russendisko" russische Tanzmusik auflegt und dazu plaudert, wie es ihm gerade einfällt, ist es gerammelt voll, es muss sogar ein Teil der durchaus nicht nur russischen Fans draußen bleiben. Seine Bücher sind Bestseller und werden in neun Sprachen übersetzt. Deshalb ist Wladimir Kaminer auch viel auf Reisen. Dabei hat er zu Reisen im Allgemeinen und im Besonderen ein eher gespaltenes Verhältnis, was er natürlich verarbeitet hat. Reise nach Trulala wird sein nächstes Buch heißen und im August bei Manhattan erscheinen. "Es geht um Reisen, die entweder nicht stattfanden, oder total fiktiv abliefen. Im Kopf. Zum Beispiel meine Reise nach Amerika", erzählt Wladimir Kaminer, "seit 20 Jahren plane ich eine Reise nach Amerika und inzwischen weiß ich schon so viel von Amerika, dass ich gar nicht mehr so richtig Lust habe hinzufahren. Das amerikanische Kapitel heißt Verdeckung Amerikas . Und da gibt es auch tatsächlich stattgefundene Reisen, wie nach Dänemark, obwohl wir da vom Land wenig mitbekommen haben. Weil wir die ganze Zeit in Christiania saßen. Das ist auch eine Geschichte für sich." Reise nach Moskau Überhaupt ist bei Wladimir Kaminer alles irgendwie eine Geschichte. Und wenn er sie nicht gerade schreibt, erzählt er sie. Sie quellen aus ihm heraus, mit russischem Akzent, aber druckreifem, selbst beigebrachtem Deutsch. Geschichten, die genau so in seinen Büchern stehen könnten. Wie über seine Lesereise nach Russland auf Einladung des Goethe-Instituts: "Es war Klasse. Ich habe noch mal feststellen müssen, dass Wodkatrinken doch einen großen Sinn dort hat und hier eben nicht. Weil man dort ohne sich ständig anzuheizen einfach durch dieses Wetter nicht weit kommt. Und ich - kein großer Freund von Alkohol - habe in Russland am Vormittag Wodka getrunken. Hätte ich nie geglaubt, dass so was gehen würde. Aber bei minus 22 Grad geht das. Man geht erst mal voll guter Vorsätze raus aus dem Haus und nach wenigen Minuten merkt man, dass es einfach so nicht geht. Dann geht man in eine Kneipe - Wodka ist billig, kostet 45 Rubel oder zwei Euro, für drei kriegt man schon ein Stück Zitrone noch dazu - und dann geht es wieder. Dann ist man auch ziemlich schnell nüchtern. In Russland ist eine ständige Wechselstimmung von Nüchternheit zu Betrunkenheit oder Angeheitertheit. Deswegen schauen auch die Männer auf der Straße ein bisschen dämlich - friedlich, aber ein bisschen dämlich. Weil alle ein bisschen schon intus haben. Auch sonst an der Mentalität der Leute hat sich nicht so viel verändert. Sind ein bisschen eigenartig, so wie die Russen eben sind. Und die feiern auch ununterbrochen. Da werden immer wieder neue Feiertage erfunden, besonders im Winter - wo man das wirklich braucht. Jetzt haben sie am 20. Dezember einen neuen Feiertag - Tag der Staatssicherheit. Putin hat einen großen Empfang gemacht. Und am 22. haben sie immer noch alle getrunken auf die Staatssicherheit, die Russen. Da saßen bei uns im Hotel zwei gut gekleidete Männer. Bestellten sich dann zum Frühstück Wodka. Und einer sagte: ,Auf unsere Männer bei der Staatssicherheit.' Und der andere entgegnete: ,Und auf die Weiber bei der Staatssicherheit.'" Möglicherweise wird diese Geschichte ja so ähnlich in einem seiner nächsten Bücher stehen, das Dschungelbuch heißen soll und von seinen Lese- und sonstigen Arbeitsreisen handeln wird. Und vielleicht wird darin dann auch eine Geschichte stehen über Wien, wo er am Donnerstag auf Einladung des Rabenhoftheaters mit der "Russendisko" zu Gast sein wird. "Russendisko" als Alternative zum Opernball. Auf dem "Ball des Schlechten Geschmack's". (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6. 2. 2002)