Notenbanken
Der faule Kompromiss vom 2. Mai 1998
Duisenberg von Frankreich zu vorzeitigen Amtsverzicht gedrängt - "Bulldozer" Chirac setzte Kohl bei EU-Gipfel unter Druck
Paris - Der 2. Mai 1998, EU-Gipfel in Brüssel: Frankreich
erzwingt von Wim Duisenberg die Zusage, dass der Niederländer seinen
Posten als Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) noch vor dem Ende
seiner achtjährigen Amtszeit zu Gunsten eines Franzosen aufgibt.
Eigentlich sollte der Gipfel feierlich die Einführung der
Euro-Einheitswährung am 1. Januar 1999 besiegeln, doch das Treffen
der Staats- und Regierungschefs wurde zu einem gnadenlosen
Posten-Geschacher. Der schließlich gefundene, faule Kompromiss sorgt
in den kommenden vier Jahren permanent für Verstimmung in der EZB. Um keinen Preis wollte der französische Präsident Jacques Chirac
den Niederländer Duisenberg, der die Unterstützung des damaligen
Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) hatte, als Kandidaten absegnen.
Paris hielt es für selbstverständlich, dass die Leitung der EZB einem
Franzosen zustehe, schließlich war ja schon der Sitz der Bank in
Frankfurt am Main. Als Kandidat wurde Notenbankchef Jean-Claude
Trichet auserkoren.
Um Ausweg gerungen
Einen ganzen Tag lang und eine halbe Nacht wurde in Brüssel mit
harten Bandagen um einen Ausweg aus der Sackgasse gerungen - bis
schließlich eine Lösung gefunden wurde, die viele Fragen offen ließ.
Man einigte sich auf Duisenberg als ersten EZB-Präsidenten und auch
darauf, dass sein Nachfolger ein Franzose sein würde. Der damals
62-jährige Duisenberg musste allerdings eine Erklärung vor den
Staats- und Regierungschefs verlesen, mit der er sich verpflichtete,
"wegen meines Alters" nicht die volle Amtszeit von acht Jahren
auszuüben. Er fügte hinzu, dass er mindestens bis zur Einführung des
Euro-Bargeldes am 1. Januar 2002 im Amt bleiben werde.
Die Franzosen leiteten daraus ab, dass er Mitte des Jahres 2002
ausscheiden werde - was Duisenberg jedoch niemals offiziell
bestätigte. Im Gegenteil: Nach der Demütigung von Brüssel schien der
Niederländer fast ein Vergnügen daran gefunden zu haben, mit den
Nerven der französischen Diplomaten zu spielen, indem er sich nicht
festlegte und immer wieder betonte, ein genaues Datum sei nie
vereinbart worden.
Kritik an "Bulldozer" Chirac
"Bulldozer" Chirac handelte sich für sein Verhalten in Brüssel
scharfe Kritik ein, da es die Anfänge des Euro belastete und die
junge Europäische Zentralbank in den Augen der Devisenhändler
schwächte. Bis zu diesem Donnerstag, an dem Duisenberg das
Rücktrittsdatum 9. Juli 2003 nannte, verhinderte die Kungelei von
Brüssel, dass an der Spitze der EZB Klarheit herrschte.
"Ich werde nicht sagen, dass das einfach war, Sie würden es mir
ohnehin nicht glauben", sagte Chirac damals nach dem Brüsseler
Verhandlungsmarathon vor der Presse. Für Kohl war das Geschacher
höchst unangenehm. Wenige Monate vor der Bundestagswahl hatte er sich
wesentlich mehr Glanz von dem Euro-Gipfel versprochen. Stattdessen
hatte ihn sein wichtigster Partner in Europa vorgeführt.(APA)