"Ich möchte noch einmal die Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass die Insolvenz von Libro vermeidbar gewesen wäre." Die Fähigkeit zur Einsicht scheint nicht die am stärksten ausgeprägte Tugend des André Rettberg sein. Zuvor wies er auf zwei A4-Seiten alle Anschuldigungen zurück, die in einem Gutachten gegen den einst hoch gelobten "Mr. Libro" erhoben wurden.

Die Handelskette ging im Vorjahr spektakulär Pleite. Schulden: 334 Millionen Euro, das sind 4,6 Milliarden Schilling. Wenige Wochen zuvor hatte Rettberg noch großspurige Ankündigungen für die weitere Expansion von sich gegeben. Rettberg heute: "Leider habe nicht nur ich, sondern die ganze Welt die Marktentwicklung im Internet zu euphorisch eingeschätzt." Dazu noch der "dramatische Kurseinbruch 2000/2001 an der Wall Street".

Mangelnde Erdverbundenheit und Traumtänzerei hatten Rettberg schon mehrere leitende Manager bei Libro unterstellt. Doch Kritik wurde nicht geduldet. Kritiker mussten gehen. Ehemalige Mitarbeiter sagen, sie hätten Rettberg bereits 1999 gewarnt, dass sein Traum von der schnellen und schillernden "Tainment-Company" das Unternehmen in den Abgrund tanzen lassen könnte. "Aber die meisten sind vor ihm gekniet wie die Kaninchen vor der Schlange oder wie die Göt- zenanbeter vor dem Goldenen Kalb", berichtet ein Exgeschäftspartner. Schließlich sei er "jede Woche in der Zeitung gewesen, ein gefeierter Star der New Economy, das hat die Leute schon beeindruckt".

André Marteen Rettberg, geboren 1958 in Holland, kam mit vier Jahren nach Salzburg. Er schaffte das Gymnasium nicht, machte in Deutschland die "mittlere Reife", lernte Buchhändler. Er arbeitete sich zum Gebietsleiter bei der Billa-Tochter Librodiskont hoch und wurde in den 80er-Jahren mit deren Sanierung betraut. Was er bravourös schaffte. Mitte der 90er kaufte er mit Finanziers die Firma.

Rettberg sei ein Getriebener gewesen, attestiert ein Bekannter, getrieben von "einer Art Bildungstrauma". Er, der in der Mittelschule gescheitert war, habe einen von seinen Ideen geprägten "sexy Konzern" schaffen wollen und sich mit Musikern, Literaten und Wirtschaftskapitänen umgeben.

Nach Libros Aus war Rettberg dem Zusammenbruch nahe, der verheiratete Vater eines Sohnes hatte sein beträchtliches Privatvermögen verspielt, war Buhmann und Sündenbock - obwohl die Rolle von Aufsichtsräten, Banken und Wirtschaftsprüfern ebenfalls zu hinterfragen wäre. Jetzt will sich Rettberg wieder als Kämpfer - er ist laut eigener Aussage mit der Kampfkunst Wing-Tsun vertraut - gegen die Vorwürfe verteidigen. Von Freunden hört man: "Er ist sich sicher, dass er nichts Illegales getan hat. Er hat halt Pech gehabt." (Leo Szemeliker, Der Standard, Printausgabe, 08.02.02)