Berlin - Der Skandal um geschönte Erfolgsbilanzen der deutschen Arbeitsämter weitet sich immer mehr aus. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye bestätigte am Freitag, dass das Kanzleramt bereits seit 6. Jänner durch einen Brief des Innenrevisors der Bundesanstalt für Arbeit über die Missstände und gefälschte Statistiken informiert war. Kanzleramtsminister Hans Martin Bury (SPD) hatte den Mitarbeiter der Behörde um weitere Informationen gebeten und vom Arbeitsministerium eine Stellungnahme verlangt. Im Ministerium wollte man die Untersuchung des Bundesrechnungshofes abwarten, die - wie berichtet - ergeben hat, dass 70 Prozent der angeblich erfolgreichen Arbeitsvermittlungen tatsächlich nicht erfolgt sind. Der Regierungssprecher lehnte Konsequenzen für den Kanzleramtsminister ab, da dieser den Vorwürfen des Informanten nachgegangen sei. Den Informanten bezeichnete der Sprecher des Arbeitsministeriums öffentlich als "einen sehr ehrenwerten Mann mit einem Stück Mut". Konsequenzen Konsequenzen dürfte es aber für den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, geben, obwohl dieser Rücktrittsabsichten dementieren ließ. Dass auf Jagoda vonseiten des Arbeitsministeriums und des Kanzleramtes Druck ausgeübt wird, wurde am Freitag deutlich: "Herr Jagoda hat sicher eine Mitverantwortung für den Vorgang und wie sein Haus arbeitet", stellte Regierungssprecher Heye klar. Jagoda wurde bereits die Kontrollfunktion entzogen. Mitarbeiter haben sich wiederholt an Medien gewandt, die über die Missstände bei der Arbeitsvermittlung berichtet haben. Das ARD-Magazin Panorama hatte bereits 1998 in einem Beitrag die Praxis der Arbeitsämter kritisch durchleuchtet. Das Magazin STERN hatte zuletzt Mitte Dezember Unzulänglichkeiten beklagt. Mehr Arbeitslose Die von einem Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit genannte Zahl, dass die Arbeitslosigkeit um bis zu 40 Prozentpunkte höher sein könnte, wurde von Experten als zu hoch eingeschätzt. Fest steht, dass die Zahl der Arbeitslosen weitaus höher ist als jene 4,3 Millionen, die die Statistik offiziell ausweist. Bei jährlich 3,87 Mio. Vermittlungen wären das hochgerechnet rund 2,7 Millionen Falschbuchungen. Die Prüfer hatten massive Verstöße festgestellt. Beispielsweise seien Stellenangebote an- und sofort wieder abgemeldet worden, nur um Vermittlungen zu buchen und die Zahl der Stellenzugänge und -abgänge in die Höhe treiben zu können. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Printausgabe 9.2.2002)